Hier geht es um die Beschreibung der besonderen Weise, wie die Menschen in dieser entfalteten warenproduzierenden Gesellschaft ihren gesellschaftlichen Zusammenhang herstellen. Die Kennzeichnung der vorherrschenden Vergesellschaftung setzt indirekt Bestimmungen frei für eine aktive Vergesellschaftung durch die Menschen selbst. Dabei kann letztere nicht hauptsächlich theoretisch ‘abgeleitet’ werden, sondern benötigt experimentelle Erfahrungsräume und eine kritisch - selbstbezügliche Entwicklung, die eine “Selbst”veränderung der einzelnen Menschen in ihren Gemeinschaften einschließt, die sie allmählich dazu befähigt, ihren gesellschaftlichen Zusammenhang direkter und bewusster zu betätigen. Dabei ist auch das Wie des Scheiterns dieser selbstorganisierten Experimente noch wichtig zu einer human-demokratischen Wegbestimmung für künftige Generationen. Das Papier “Zur Kritik des Repräsentativsystems” ergänzt das hier Ausgeführte.
1.) Der gegenwärtigen Gesellschaft liegt als Wirtschaftsweise und Vergesellschaftungsweise die Privatproduktion und der Warenaustausch zu Grunde.1 Letzterer ist überall dort notwendig, wo sich Menschen in Bezug auf ihre Produktionsweise nicht in einem direkten, gesellschaftlich-gemeinschaftlichen Lebens- und Produktions-Zusammenhang befinden, wo also privat für den Markt produzieren. Für das Funktionieren der Waren im Austausch ist es nicht wichtig, auf welche Weise sie vorher produziert worden sind, ob in der einfachen Warenproduktion eines Handwerksbetriebes, oder durch Sklavenarbeit, oder mit Lohnarbeitern im Austausch mit durch diese sich verwertendem Kapital oder in häuslicher Eigenarbeit, die zunächst gar nicht für den Markt bestimmt war, oder ob die Ware vorher gar gestohlen worden ist. All das ändert an der Funktionsweise des Warenaustausches nichts. Er lässt alle vorausgehenden Umstände der Produktion der auf den Markt gelangenden Waren gleichgültig erscheinen. Für die Funktion eines Dinges oder einer Dienstleistung als Ware auf dem Markt ist nur wichtig, ob und in welcher Qualität und Menge es auf ein ihr gegenüberliegendes Bedürfnis nach ihr stößt, ob es sich somit auf dem Markt gegen die 'allgemeine Ware' - das Geld - austauschen kann. Im Austausch mit Geld interessiert die Warenaustauschenden (als Käuferin oder Verkäuferin) nur ihr Warenwert und wie viel davon. Die Verkäuferin will möglichst viel für ihre Ware bekommen, die Käuferin möglichst wenig Geld für die von ihr begehrte Ware hergeben.
2.) Erst wenn (in der entfalteten bürgerlichen Gesellschaft) auch die menschliche Arbeitskraft zur Ware
geworden ist (als Lohnarbeit, auch Erwerbsarbeit genannt) und ihre Verwertung durch das Kapital das
vorherrschende gesellschaftliche Produktionsverhältnis ist, durchdringen die Warenaustausch-Beziehungen, also
das Werthandeln und Wertdenken 2, allmählich fast alle gesellschaftlichen Bereiche.
So wie die Ware sich
als scheinbar unauflösliche Einheit von Gebrauchswert und Wert zeigt, stellt sich der Produktionsprozess
selbst hier dar als Einheit von Arbeitsprozess und Verwertungsprozess. Letzterer bestimmt im Laufe der
Entwicklung zunehmend Gestalt und Entwicklungsrichtung auch des Arbeitsprozesses und seiner
wissenschaftlich-technischen Voraussetzungen. Durch dieses seit Generationen laufende ständige Übergreifen des
Verwertungsaspektes über den Gebrauchswert und über den Arbeitsprozess können wir uns kaum noch vorstellen,
wie sich der Bereich der bloßen Nützlichkeit der von Menschen hergestellten Dinge und der Bereich des dazu
nötigen Arbeitsprozesses ohne diese ständigen Verwertungsnotwendigkeiten entwickeln würde ...
Warenprodution ist Produktion für den Markt. Produktion und Verteilung des Produzierten bilden hier keine
Einheit von Menschen, die direkt von ihnen als Produzierende und Komsumierende bestimmt wird. Sie bilden als
Privat-Produktion und Marktregulation eine besondere indirekte Einheit, die sich mehr oder weniger krisenhaft
über die vielen Austauschakte auf dem Warenmarkt herstellt. Ein für eigenes Interesse handelnder Eigentümer
der Produktionsmittel, kann eine einzelne Person sein, eine Aktiengesellschaft, eine Genossenschaft, ein
Verein, ein Staat. Gemeinsames Merkmal bleibt der Marktbezug, die Verwertung der eigenen Waren auf dem Markt.
Ob die Produkte von dieser Art Produktion dann einen gesellschaftlichen Bedarf in bestimmter Menge erfüllen
können, stellt sich erst im Nachhinein auf diesem Markt heraus. Die gesellschaftliche Nützlichkeit der
Produkte (also, ob sie Teil der gesellschaftlich notwendigen Gesamtarbeit sind) ‘realisiert’ sich in ihrer
Austauschbarkeit gegen Geld.
3.) Durch die gewaltige Anzahl der voneinander losgelösten einzelnen Austauschakte der Warenaustauschenden
wird diese Produktionsweise erst indirekt - regulativ zu einer gesellschaftlichen. Die Einzelheit der
Austauschakte, ihre relative Losgelöstheit voneinander und von der dazugehörigen Produktionsweise, macht die
Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhanges im wirtschaftlichen Bereich zu einem indirekten Nebenprodukt
der Akteure. Diese “verlernen” in dieser Produktions- und Verteilweise gründlich, den gemeinschaftlich -
gesellschaftlichen Zusammenhang selbst herzustellen. Der Äquivalententausch ("Ich gebe dir - im Wertausdruck -
nur das, was du mir gibst.") erscheint durch seine besondere Form den Beteiligten anders, als er sich bei
näherer Betrachtung und in Verbindung mit der besonderen Produktionsweise, die ihn hervorbringt, erweist. Der
Inhalt der Austauschtransaktion ist die Gleichsetzung konkret menschlicher Arbeiten als bloße abstrakte Arbeit
in jeweils bestimmter Menge. Diese Gleichsetzung geschieht in jedem einzelnen Austauschakt. Diese menschliche
Arbeit schlechthin wird in vergegnständlichter Gestalt "Wert" genannt. Die Gleichsetzung verschiedener
konkreter Arbeiten als ‘Arbeit überhaupt’ ist eigentlich ein 'verrücktes' Tun: Ein eigentlich nur Abstraktes
(was sonst nur in den menschlichen Gedanken, Vorstellungen, Ideen auftauchen kann...), also hier der ‘Wert’,
tritt als etwas wirklich Vorhandenes auf. Es wird sogar zum wirklichen Regulator des wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Zusammenhanges gemacht. Es ist die gängige, fast allen Beteiligten inzwischen “natürlich”
erscheinende Praxis. Sie funktioniert so, als ob es neben dem ganzen Umfang der jeweiligen gesellschaftlich
nützlichen Arbeiten noch ‘die Arbeit’ als wirklich vorhandenes Abstraktes gäbe. Man stelle sich vor, es gäbe
im Tierreich neben dem Löwen, dem Regenwurm, der Maus u.s.w. noch ‘das Tier’ als wirklich vorhandenes,
lebendiges Abstraktes ... So ist es aber mit dem Wert bzw. dem Geld. ‘Das Tier’ gilt als Gattungsbegriff. Aber
jedem ist klar, dass in der Wirklichkeit nur die einzelnen Tiere und Tierarten existieren und darüber hinaus
entsteht im menschlichen Kopf dafür ein zusammenfasssender, kennzeichnender Ausdruck. Aber den “Wert” gibt es
wirklich (durch die menschliche Austauschpraxis auf Grundlage der Privatproduktion)! Weil es sich in der
Warenwelt gerade so ‘verrückt’ verhält, wird der Wert auch als “Realabstraktion” bezeichnet.
Man kann
der einzelnen Ware nicht ansehen, dass sie “Wert” enthält oder besser ausdrückt. Ihr “Wertsein” kann nur im
Verhältnis einer Ware zu einer anderen Ware erscheinen. Die eine Ware drückt das “Wertsein” dadurch aus, dass
eine bestimmte Menge von ihr selbst gleich einer bestimmten Menge der anderen Ware “wert ist”. Wenn eine Ware
einer beliebigen anderen Ware im einfachsten Austauschverhältnis gegenübertritt, übernimmt die eine Ware die
Rolle, dass sie ihren Wert relativ in der natürlichen Gestalt der anderen Ware ausdrückt (relative Wertform).
Die ihr gegenüberstehende Ware übernimmt die Rolle, dass sie das 'Wertsein' der ersteren Ware mit ihrer
eigenen Gestalt mit ausdrückt (Äquivalentform).3
4.) Die erste Besonderheit der Äquivalentform, nämlich dass eine besondere Ware ihre Substanz und ihre von
Menschen geschaffene besondere Gestalt dazu hergibt, um damit den Wert der ihr gegenüber stehenden Ware zur
Anschauung zu bringen, ergibt sich aus dieser praktizierten Gegenüberstellung: Der Gebrauchswert der einen
Ware wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Wertes der ihm im Austausch gegenüberstehenden Ware.
Damit bekommen alle Dinge in der Warengesellschaft die scheinbar natürliche Eigenschaft, Träger von Wert zu
sein. Und die besondere Ware, die in die Rolle des allgemeinen Äquivalentspiegels hineinwächst (Muscheln,
Kaurischnecken, Perlen, Salz, Vieh, Silber, Gold, später Geld), bekommt die quasi-natürliche Eigenschaft eines
allgemeinen Wertträgers. Wenn Gebrauchswert in der Äquivalentform zur Erscheinung seines Gegenteils des Wertes
wird, gilt auch eine besondere Arbeit, die den Geldausdruck, das Gold, mitproduziert, als Erscheinungsform von
abstrakt menschlicher Arbeit überhaupt. Das ist die zweite Besonderheit der Äquivalentform. Sie bedeutet, dass
die Privatarbeit, die z.B. das Gold hergestellt hat, die Form seines Gegenteils zeigt, nämlich Arbeit in
unmittelbar gesellschaftlicher Form, die wertproduzierende Arbeit. Geld, als die entfaltete Äquivalentform,
drückt also die menschliche Arbeit als allgegenwärtiges, wirklich verhandenes Abstraktes aus: Es ist ein
‘Anrecht’ auf jede besondere in Waren steckende gesellschaftliche Arbeit in bestimmter Menge, wenn sie sich
nur auf dem Markt befindet...
Die Entwicklung des Geldes aus der Äquivalentform bestimmter häufig in
Austausch gelangter Waren führte schließlich im Gold zu einem global verbreiteten gegenständlichen Träger der
Wert-Zeige-Funktion. Ein gesellschaftliches Verhältnis nahm gegenständliche Gestalt an...
Obwohl wie
alle Waren aus Privatarbeiten wirklicher, lebendiger Menschen hervorgegangen, wird Gold als Geld zum
allgemeinen Ausdruck von Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form. In Gestalt des Geldes kann sich der
gesellschaftliche Zusammenhang der Menschen als wirtschaftlicher Zusammenhang nur indirekt und “sachlich”
ausdrücken. -- Direkt verhalten sich die Menschen zueinander nur außerhalb dieser wirtschaftlichen Sphäre...)
Das heißt, Menschen, die diese indirekte Vergesellschaftung gewohnt sind und täglich erneuern, verlernen
allmählich, ihren gesellschaftlichen Zusammenhang direkt miteinander auszudrücken. Deshalb fällt den meisten
Menschen Selbstorganisation so schwer. ---
Die Masse der Waren bleibt in relativer Zeigeform des Wertes,
sie drücken ihr ‘Wert-haben’ im Geld aus. Aber die besondere Gestalt (“Naturalform”) einer Ware, geschichtlich
das Gold, wird zum gleichsetzenden (äquivalenten) Wertausdruck für alle anderen Waren. Dann "schafft" sich der
Wert, der schließlich als Kapital das handelnde 'Subjekt' des wirtschaftlichen Prozesses wird, indem er sich
vom Gold als Geld wieder ablöst, seine eigenen spezifischen Zeigeformen (Münze, Banknote, bloßes Rechen- und
Buchungsgeld ...). Im Geld erscheint der Wert als bloß allgemeiner Wert. In der Ware erscheint der Wert als
bloße konkrete Gestalt von Gebrauchswert, bei der wir es uns angewöhnt haben, zusätzlich den Wert dieses
Dinges äußerlich mit zu denken ... Die Ware erscheint, neben ihrer Käuflichkeit, als bloßes nützliches Ding.
Deshalb spricht die vorherrschende Volks- und Betriebswirtschaftslehre auch meistens von “Gütern”, statt von
Waren. Der Zusammenhang mit der ganzen ‘Warenwelt’ und dem Geld erscheint in den Waren nicht sogleich mit. Der
innere Zusammenhang von Waren und Geld erscheint den Austauschenden als bloßes äußerliches Verhältnis.
Dabei hat der Wert in Wirklichkeit zwei unterschiedliche Gestalten (“Erscheinungsformen"), nämlich die Waren
und das Geld. Es sind ‘Pole desselben Wertausdrucks’. 'Wert' wird zum abstrakten, und doch im Geld und den
Waren abwechselnd real erscheinenden, Selbstausdruck schlechthin. Geld, scheinbar losgelöst von den Waren,
wird zum Hauptausdrucksmittel des gesellschaftlichen Zusammenhanges. Was nicht ‘bezahlbar’ bzw. ‘finanzierbar’
ist, erscheint als ‘nicht machbar’. ‘Geldtheoretiker’, die nur das Geld als Geld "reformieren" wollen, blenden
den eben gezeigten ständigen Wechsel in der Erscheinungsform des Wertes aus. Sie sehen nur die Geldgestalt,
nicht das Ware-Geld-Verhältnis als von den Menschen selbst produziertes, besonderes gesellschaftliches
Verhältnis.
5.) Als gesellschaftliches Verhältnis zeigt der Wert (als lebendiger Fluss der einzelnen
Austauschbeziehungen) fortwährend die gesellschaftliche Nützlichkeit der Dinge und Dienstleistungen in dieser
Gesellschaft mit der natürlichen Gestalt einer besonderen Ware und in höchst abstrakter Form, eben als Geld.4
Die Rolle dieses ‘Äquivalentspiegels’ hat sich im Laufe dieser Entwicklung völlig von der besonderen Ware
(Geld = Gold) verselbständigt. Geld erscheint schließlich als bloßer Wert "von Natur aus". Nur in großen
Krisen setzte wieder die Flucht in das Gold und schließlich ‘die Sachwerte” ein.
Über den Warenaustausch
wird nicht nur immer wieder neu punktuell und höchst flexibel bestimmt, was von den jeweils produzierten
Dingen einen besonderen Bedarf erfüllt und was nicht. Über Fluss und Stockungen der Märkte wird überhaupt die
Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit und des Kapitals auf die einzelnen gesellschaftlichen
Bereiche geregelt. Auch bestätigen sich die Menschen darin gegenseitig als in ihrer Produktions- und
Lebensweise überwiegend privat produzierende und vereinzelt miteinander "frei" in Austausch tretende Wesen.
Warenaustausch und Warenproduktion erscheinen den Beteiligten als Teil einer 'natürlichen menschlichen
Gesellschaft', als einzig mögliche Weise, überhaupt eine menschliche Produktion und Gesellschaft zu bilden.
Eine intensivere, direktere, demokratische Bestimmung der Produktion und Verteilung durch die Menschen selbst
erscheint den warenbeeinflussten Menschen als ‘utopisch-unrealistisch’ in einem abwertenden Sinne.
6.) Der Wert als abstrakter Ausdruck von der in dieser Gesellschaft notwendigen menschlichen Arbeit kann sich nur in Waren relativ und im Geld allgemein und handgreiflich ausdrücken. Die Verselbständigung des Wertes ist Folge des ungesellschaftlichen Charakters der vorherrschenden Produktionsweise, die ihren Zweck in der Selbstverwertung des Kapitals findet. Privatproduktion zieht notwendig Marktbezug nach sich. Es ist die dazu gehörige Verteilungsweise. Wer die globalen Folgen dieser Marktproduktion nicht will, kann sich immer neue, etwas ‘zügelnde’ Reformen ausdenken. Diese Reformen werden auch ständig weltweit probiert. Der Mehrheit der Menschen geht es schlecht dabei.5 Es ist aber auch möglich, von den Beteiligten direkt bestimmte Keimformen6 von Gemeinschaftsproduktion aus gegenwärtigen Ansätzen gegenseitiger Hilfe (z.B. Projektgemeinschaften, Kommunen, Nichkommerzielle Landwirtschaft ... ) zu entwickeln. Gemeinschaftsproduktion soll hier wirkliche Einflussnahme der Produzentinnen auf die Produktion und die Verteilung der Produkte bedeuten. Dieser Einfluss ist nur möglich durch einen längerfristigen, selbstkritischen, freien, freiwilligen gegenseitigen Aktivierungsprozess. Das ist eine notwendige Entwicklungsvoraussetzung für ein lebendiges Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln. Wir 'warenbeeinflussten' Menschen sind es bei weitem nicht gewohnt, in einem intensivem Maße selbst Einfluss auf ihre Produktion und Verteilung und auf ihr Gemeinwesen zu nehmen.
7.) Trotzdem können sich die Einzelnen schon einen kleinen Freiraum schaffen, um anders zu leben und den Erwerbszwang für sich zu mildern. Unsere Projektgemeinschaft AK LÖK kann die Einzelnen ermuntern, diese neue Freiheit vom allgemeinen Wertdenken und Werthandeln für sich zu entwickeln und in der Gruppe auszubauen. --- Durch die gemeinsam geschaffenen Freiräume, die Projektautonomie und eine Selbstverpflichtung zu einer koordinierenden Absprache kann einerseits die Lust auf Tätigkeiten jenseits der Verwertungszwänge gefördert werden, andererseits auch die Lust, ausgehend von den eigenen Lebensumständen, auf die Gemeinschaft und die Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Wichtig ist dabei, dass Nähe und Abstand von der Gemeinschaft von den Einzelnen frei einstellbar bleibt, und dass es ihnen ermöglicht wird, die Gemeinschaft jederzeit zu wechseln oder zu verlassen.
8.) Der gegenwärtige bürgerliche Staat als indirekter Regulator dieser gesellschaftlichen Verhältnisse ist aus dem feudalen Obrigkeitsstaat hervorgegangen. Früh schon hat sich die Entstehung von staatlicher Macht mit einer Funktion von Marktgarantiemacht verbunden. Allerdings gab es vor und während der Anfänge der Warenproduktion und des Fernhandels schon eine Art Staatlichkeit, die mit der damaligen Klassenherrschaft (auf Grundlage von Bodenbesitz) zusammenhing. Der Machtapparat der ägyptischen Pharaonen entwickelte sich zum Beispiel vor einer Intensivierung der Warenproduktion. Die Notwendigkeit der Herstellung eines gewissen ‘Marktfriedens’ erforderte eine bewaffnete Macht zum Schutz des Marktes nach außen und zur Erzwingung der Marktregeln nach innen. Die Errichtung einer "Infrastruktur" (z.B. das Verkehrs- und das Bildungswesen) für Märkte und Gemeinwesen und das Rechtswesen waren traditionelle Aufgaben des bürgerlich werdenden Staates, der aus dem Feudalstaat hervorging.
9.) Dieser Staat ist gleichzeitig Vermittler des „Gemeinwohls“ in einer entfalteten warenproduzierenden
Gesellschaft und Ausdruck einer Klassenherrschaft der Kapitalbesitzer. Das ist ein Konflikt, den er in sich
austrägt. Er überwacht die für alle geltenden Spielregeln mit der daraus erwachsenden krassen Einseitigkeit
von Besitz und Herrschaft. Die Gewaltenteilung (in Exekutive, Legislative und Judikative) ermöglichte im
Gegensatz zum Feudalstaat eine gewisse Rechtssicherheit für die Bürger, einen überwiegend gewaltlosen
Interessenausgleich der Klassen und Schichten und eine flexiblere Selbstkorrektur im Rahmen eines
vorherrschenden Konsenses. Allerdings bleibt festzuhalten, dass die bürgerliche Demokratie, z.B. das Wahlrecht
für alle, auch ein Ergebnis von Kämpfen, des 'Vierten Standes', später der Arbeiterbewegung und von
Bürgerinitiativ-Bewegungen gewesen ist.
Die Teilnahme der Mehrheit der BürgerInnen an der Regulation
"ihres" Staates war immer nur auf wenige Möglichkeiten beschränkt. Die Versuche der Bürger neben den Wahlakten
das Gemeinwesen direkter selbst zu bestimmen, beschränken sich meist auf die kommunale Ebene. Sie blieben oft
von geringer Wirkung, weil die allermeisten Menschen es nicht gewohnt sind, bestimmend auf ihren
gesellschaftlichen Zusammenhang aktiv einzuwirken. "Bürger - Initiative" bezieht sich eher auf Einzelfragen.
Darin wirkt sie als ein wichtiges Korrektiv gerade dort, wo die sonstigen Strukturen versagen, allerdings ohne
das vorherrschede Gefüge in Frage zu stellen.
Joachim Hirsch kennzeichnet das gegenwärtige
Repräsentativsystem7 als institutionellen Ausdruck der Vermittlung von Staat und Gesellschaft. Es gäbe
institutionelle Barrieren, die das Durchschlagen des “Volkswillens auf staatliche Entscheidungsprozesse
verhindern."8 Als solche Barrieren benennt er eine "Herrschaft der Bürokratie", "die eingeschränkten Kontroll-
und Einflussrechte” der gesetzgebenden gegenüber der ausführenden Gewalt und “schließlich die Beschränkung des
Mehrheitsprinzips” durch das faktische Grundrecht auf das Privateigentum. Außerdem sind alle
Großorganisationen außerhalb dieses Staates und die politischen Parteien ähnlich "repräsentativ" und damit
undemokratisch aufgebaut (Beispiele: ADAC, SPD, DGB, Greenpeace ... ). "Die politische Demokratie der
kapitalistischen Gesellschaft kann keine "Basisdemokratie" oder unmittelbare Herrschaft des Volkes sein,
sondern reduziert sich auf dessen höchst beschränkte und an äußerst engen Verfahrenssregeln gebundene
"Mitwirkung"" (a.a.O.) Das mag so sein. Aber das könnte auch bedeuten, dass es nur genügte, diese Barrieren
abzubauen, oder andererseits Gruppen zu bilden, in denen es diese formellen Barrieren nicht gibt, um eine
wirkliche Volksherrschaft, eine Beteiligung der Mehrheit der Menschen an ihren Gemeinschaften und an der
ganzen Gesellschaft zu ermöglichen. Genau das entspricht nicht der gegenwärtigen Wirklichkeit: Eine gewaltige
Mehrheit der Menschen hat das Repräsentativsystem genauso verinnerlicht, wie die Waren’prägungen'9. Alle
Neugründungen würden in erster Näherung nicht nur den Warentausch und das Äquivalenzprinzip neu verwirklichen
und damit zur Privatproduktion zurückdrängen, sondern wiederum wenige Menschen zu ihren Sprechern machen und
ihren gesellschaftlichen Zusammenhang dauerhaft durch diese bestimmen lassen. Sie würden nur ab und zu auf der
Grundlage, dass es eigentlich ungewohnt ist, ein wenig 'mitwirken'. Das gilt auch für den AK LÖK, für die
Umsonstläden und alle anderen neu sich bildenden Gruppen, die deshalb eine starke Neigung in sich haben, sich
der vorherrschenden repräsentativen Struktur wieder anzupassen. Deshalb ist es so schwer, sich da
hinauszuentwickeln.
10.) Befördert durch die beschriebene indirekte Vergesellschaftung über den Markt hat sich in der aktuellen Gesellschaft ein besonderes Zusammentreffen bestimmter, verfestigter Umstände (‘Konstellation’) der Nicht-Bestimmung des gesellschaftlichen Zusammenhanges herausgebildet. Wenige Menschen werden schon früh auf ihre Aufgaben vorbereitet, den gesellschaftlichen Zusammenhang über Staatsapparat und Großverbände, Parteien, Vereine usw. indirekt zu repräsentieren und zu vollziehen. Im Zuge derselben Entwicklung werden die allermeisten Menschen darauf trainiert, ihren gesellschaftlichen Zusammenhang eher nicht direkt wahrzunehmen, sondern andere für sich sprechen und handeln zu lassen. Die repräsentative Aktivität der einen bedingt dann die repräsentative Passivität der anderen, der übergroßen Mehrheit der Menschen. Ist das System der Repräsentanz (Vertretung) erst einmal gewachsen, können die einzelnen Menschen nur noch einzeln wählen, ob sie zur repräsentierenden, aktiven Minderheit oder zur repräsentiert werdenden, passiven Mehrheit der Menschen gehören wollen. Die einmal indirekt von vielen Einzelnen selbst mit geschaffene ‘Konstellation’ können sie nicht verändern. Sie hat sich verselbständigt.
11.) Die Menschen schaffen diese „Konstellation der Vertretung durch wenige“ stets neu. Selbst wenn in solchen neuen Gruppen keine ausgesprochenen "Repräsentationsmenschen" sind, drängen die anderen einzelne wenige von ihnen in diese Rolle. Nur eine Gruppe, die diese tiefeingewurzelte Neigung zur Vertretung (Repräsentation) kennt und sie bewusst überwinden will, kann einen anderen Kurs steuern. Eine Gruppe kann die beschränkte Entwicklung ihrer Gruppenkräfte und die Wahrnehmung des gemeinschaftlichen Zusammen-hanges durch nur wenige von ihnen erkennen und absichtlich allmählich ändern. Ab und zu kann sich diese Gruppe fragen: „Wo stehen wir? Wer bestimmt hier eigentlich wirklich was? Welche Entwicklungsdynamik ist bei uns erkennbar? Verbreitert sich die Beteiligung an der Herstellung des Gruppenzusammenhanges auf mehr Menschen, oder verengt sie sich gar wieder?“ Grundlage dieses langfristigen, kritisch selbstbezüglichen Aktivierungsprozesses kann nur die Freiwilligkeit und eine darauf gründende Mitverantwortung sein. Zum Beispiel kann die Aktivierung in unseren Projekten eine qualitative Stärkung bekommen, dadurch dass die Entwicklung neuer Ideen, die Vertretung der Gruppe nach außen, die Diskussionsleitung auf den Versammlungen, die Darstellung gegenüber den NutzerInnen und Gästen allmählich von mehr Aktiven durchgeführt wird.
Literatur Hirsch, Joachim (1995): Der nationale Wettbewerbsstaat. Berlin. Marx, Karl (1962): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band. MEW Bd. 23. Ost-Berlin. Marx, Karl (1974): Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. MEW Bd. 42. Ost-Berlin. Ziegler, Jean (2003): Die neuen Herrscher der Welt. München.
Theoriegruppe des Arbeitskreis Lokale Ökonomie
Hamburg, 12. September 2010
jeden 1. Montag im Monat um 19 Uhr in der Bodenstedtstraße 16:
Plenum der Projekte im AK Lök.
Arbeitskreis Lokale Ökonomie e.V.
Bodenstedtstraße 16
22765 Hamburg
Tel.: 040 - 22 85 93 41
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