1.) Die Versuche seit der Pariser Commune den Kapitalismus zu überwinden sind nicht gelungen. Die Aufgabe, eine durch die Menschen aktiv getragene Wirtschaftsweise zu entwickeln, sodass die Menschen ihren eigenen gesellschaftlichen Zusammenhang selbst bestimmen, ist noch nicht gelöst. Das wird vielleicht noch einige Generationen benötigen. Doch die Art und Weise, wie die verschiedenen Versuche an bestimmte Grenzen gestoßen sind, ermöglicht wichtige Erkenntnisse darüber, wie diese Aufgabe gelöst werden kann. Dort, wo wenige Menschen den bisherigen „Staatsapparat“ übernahmen, konnten die wirklichen, lebendigen Menschen ihre Lebensumstände, auch ihre Wirtschaft, keineswegs schrittweise in die eigenen Hände nehmen. Die herkömmlichen „linken“ Konzepte und Parteien bauten oft auf erziehungsdiktatorischen Vorstellungen auf, waren nicht auf eine kritisch-kontroverse, langfristige, freiwillige Aktivierung aus. Im „Arbeiter- und Bauernstaat“ hatten die hiermit Angesprochenen keinen bestimmenden Einfluss. Niemand sollte nach diesen Erfahrungen, die bis zum Stalinismus führten, zu seinem vermeintlichen Glück genötigt oder gar gezwungen werden.
2.) Auch die Versuche, antikapitalistische Lebens- und Wirtschaftsweisen „von unten“ zu entwickeln, konnten bisher von der Warenwirtschaft wieder vereinnahmt werden. Gerade deshalb ist es hilfreich, sich die Geschichte dieser Versuche genauer anzusehen. Schon die klassischen Produktiv- und Konsumgenossenschaften des neunzehnten Jahrhunderts wurden schnell von den Marktkräften aufgesogen. Im Markt hielten sich viele von ihnen noch Jahrzehnte, teilweise bis in die Gegenwart. Aber die allermeisten stehen keineswegs für eine „Keimform“ einer menschlicheren Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Sie wollen keine andere als die bestehende. Die allermeisten heutigen Genossenschaften haben mit dem Marktbezug, mit Ware, Geld, Kapital und darauf aufbauender Staatlichkeit ihren Frieden geschlossen. Berufsrepräsentanten bestimmen weitgehend den Ablauf dieser Organisationen, egal, ob die Mitgliedschaft, die „Genossen“, gerade etwas mehr oder wenige „mitbestimmen“. Das liegt aber nicht an der Organisationsform der Genossenschaft, sondern am unkritischen Marktbezug der Beteiligten. Im Gegensatz zu den völlig angepassten Genossenschaften gibt es die Sozial- und Selbsthilfegenossenschaften mit einem reformerisch - prokapitalistischen Selbstverständnis. Diese gilt es in eine Debatte um einen neuen solidarwirtschaftlichen Sektor mit einzubeziehen!
3.) Die „Alternativbewegung“ der 70er bis 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts, auch mancher ehemals besetzte und von der Belegschaft übernommene Betrieb, wiederholte in wenigen Jahren die Marktanpassung der traditionellen Genossenschaftsbewegung. Keiner der tausenden von Ansätzen hatte ein waren- und geldkritisches Grundverständnis. Man wollte sich einfach als „Kollektiv“, anfangs ohne innere Hierarchien, „am Markt bewähren“. In ca. zwei bis zehn Jahren waren daraus ganz „normale“ Betriebe und Läden geworden. Weil „der Markt“ es erforderte und Wertdenken und die Bereitschaft sich unterzuordnen und kaum Verantwortung zu übernehmen ohnehin verinnerlicht waren, entstanden die Hierarchien wieder neu. Die allerwenigsten Beteiligten kümmerten sich später um die politischen Ansprüche ihrer Gründungsphase. Die „Alternativbewegten“ hatten die Anpassungszwänge ihres eigenen Marktbezuges gewaltig unterschätzt. Trotzdem gibt es auch heute noch massenhaft Leute, die weiterhin „solidarische Ökonomie“ mit dem gemeinsamen Bedienen des ganz gewöhnlichen Warenmarktes verwechseln oder das zumindest für problemlos vereinbar halten. Da, wo diese Alternativbewegung sich nicht in den Markt integriert hat, wurde sie vom Staat abhängig (über Staatsgelder,...), mit ebenso ähnlichen Konsequenzen (interne Hierarchien, Aufgabe, des kritischen Ansatzes). Sie wurden indirekte „Zuarbeitsvereine“ für den „ersten Arbeitsmarkt“ („freie Träger“).
4.) Auch herrscht hier und da die Illusion vor, dass die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte in dieser alten Gesellschaft für sich genommen die Aufgabe einer neuen Gemeinschafts- und Gesellschaftsbildung „von unten“ in ihren Anfängen fördern oder gar lösen könnte. Der gegenwärtige Stand der Produktivkräfte, gerade in seinen jeweils neuesten Gestalten, ist fest in der Hand des Kapitals. Diese Technologien sind durch ihre ständige Verwertung mit gestaltet. Der „Fabber“ (ein sich in der Entwicklung befindender, universeller Kleinteile-Herstellungsapparat) bringt keine neuen gesellschaftlichen Verhältnisse auf die Welt. Erst entwickelte waren- und wertkritische Gemeinschaften können überhaupt entscheiden, welche Technologien sie wie gestalten wollen. Alles andere dient nur weiterhin dem Markt und einer weiteren Verselbständigung der menschlichen Wesenskräfte in Form von Arbeitskraft einsaugendem Kapital.
5.) Die Dauerkrise der marktbezogenen Erwerbsarbeit (Lohnarbeit) ermöglicht gegenwärtig neue Initiativen einer bewusst betriebenen Nachbarschaftshilfe, nicht-kommerzieller Landwirtschaft, gegenseitiger Hilfe, auch eines gemeinschaftlichen Marktbezuges. Kapitalismusüberwindende Ansätze entstehen jedoch nur dort, wo bewusst versucht wird, einen (wachsenden und zusammenwachsenden) nicht waren- und wertbezogenen „Innenraum“ zu schaffen, also einen vom allgemeinen Markt sorgfältig abgetrennten Erfahrungs- und Beziehungsraum. Ob Genossenschaft oder Kommune, ob lose Gruppe oder eingetragener Verein: Die Rechtsform der jeweiligen Vereinigungen kann sich nur sinnvoll auf den anfangs wahrscheinlich noch nötigen teilweisen Marktbezug dieser experimentellen Gebilde beziehen. Eine wachsend sich selbst kritisch gestaltende Gemeinschaft braucht diese Formen in Bezug auf ihr „Innenleben“ nicht mehr. Wer dem Marktbezug sein „ganzes Leben“ unterordnen will, der oder die soll das tun. Wem das jedoch nicht genügt, wer einen praktischen Ausweg aus dieser Wertvergesellschaftung sucht, sollte nicht all ihre/seine Lebenskraft, alle Neigungen auf den Markt werfen, sondern diese ohne Hast und Eile diesem solidarischen „Innenraum“ und damit in einem tieferen Sinne sich selbst gönnen.
6.) Nötig ist es also, zweigleisig zu verfahren: Einerseits müssen die allermeisten Menschen noch mit ihrer Arbeitskraft auf den Markt gehen, um sich lebensnotwendige Dinge (Wohnung, Lebensmittel...) kaufen zu können. Auch dabei kann man sich auf verschiedene Weisen helfen. Andererseits sollten die verschiedenen Ansätze (egal ob Kommune oder Wohnprojekt, Hausgemeinschaft oder Erwerbslosengruppe, Projektgemeinschaft, Umsonstladen oder Genossenschaft ...) ausdrücklich und bewusst in sich einen Bereich schaffen, in dem sie anfangen, unmittelbar füreinander praktisch-solidarisch zu wirken! Dann können sie, so wie wir es hier in Hamburg angefangen haben, die Früchte dieses Wirkens den Aktiven dieser Gemeinschaften zur Nutzung geben: Kein Tausch, kein Wert, kein Geld, sondern Nutzen der Dinge und menschliche Kontakte! Zu Konkretisieren wäre, wie im Bereich der zunächst noch nötigen Erwerbsarbeit ebenfalls eine entlastende gegenseitige Unterstützung organisiert werden könnte (z.B. halbwegs sinnvolle „Teilzeit-Erwerbsarbeit“).
7.) In diesen solidarischen Innenräumen der Gruppen können kapitalismus-überschreitende Wirtschaftsbeziehungen entstehen. Dort können in einem jahrelangen Prozess die menschlichen Eigenschaften wachsen, um sich in solchen solidarischen Gruppen gestaltend einzubringen. Praktische Solidarität im Alltag ist erlernbar. Es ist jedoch nicht sinnvoll, sie einfach idealistisch vorauszusetzen. Die in jedem von uns verinnerlichten Wertverhältnisse können allmählich während vieler Jahre überwunden werden, wenn die auf ihnen beruhenden und von ihnen mit beeinflussten, „verarmten“ persönlichen Beziehungen bewusst mit umgestaltet werden. Wir haben die Chance einer Alternative, wenn sich die Beziehungen unter uns im Alltag wirklich nach Jahren erkennbar als menschlicher erweisen, als im allgemeinkapitalistischen Umfeld („Lebensqualität“ in den „Keimformen“).
8.) Wenn es den verschiedenen Ansätzen solidarischer, warenkritischer Ökonomie gelingt, praktische, verabredete arbeitsteilige Beziehungen untereinander zu entwickeln, kann sich aus „Inseln“ der Solidarität in einem Meer von Konkurrenz ein gesellschaftlicher Sektor herausbilden, der sich allmählich von den Zwängen des Marktes ablöst. Keiner der bisherigen Ansätze wird die große Aufgabe allein lösen können.
9.) Existenziell für ein Wachstum der verschiedenen Projekte ist u.a. ein offener und solidarischer Umgang mit den Fehlern, Grenzen, Schwierigkeiten, auf die die jeweiligen Gruppen stoßen. Wenn eine Teilunternehmung kriselt oder scheitert, sind diese Erfahrungen für alle Aktiven wichtig. Genau zu wissen, warum etwas nicht funktioniert hat, ist ein entscheidendes Element, um Lösungswege für einen bewussteren, gemeinschaftlichen und schließlich gesellschaftlichen Zusammenhang entwickeln zu können. Also, berichtet selbstbewusst und genauer von euren „Fehlern“ und Entwicklungshemmnissen! Diese Grenzen, auf die wir jeweils stoßen, haben Ursachen, Die können wir erkennen, um unsere nächsten Schritte realistisch zu bestimmen, um unser Zusammenwirken zu verbessern. Schickt solche und andere Berichte auch an die CONTRASTE, Zeitschrift für selbstorganisierte Projekte und Betriebe!
10.) Ein solidarischer Umgang miteinander im Alltag, eine Verbesserung der Lebensumstände durch gegenseitige
Unterstützungen kann ein tragfähiger, gemeinsamer Nenner der recht unterschiedlichen Ansätze und Weltbilder
sein. Jedoch wird es kaum möglich sein, ohne eine sorgfältige Analyse, was Waren, Geld und Kapital eigentlich
sind, einen Ausweg aus diesen Beeinflussungen zu finden. Die Vergesellschaftung über den Wert haben wir alle
durch die zahllosen Kauf-Verkauf-Aktionen in unserem Alltag so tief verinnerlicht, dass wir diese immer wieder
veräußerlichen würden, auch wenn man uns, beispielsweise auf einer vorher unbewohnten Insel, von diesen
Umständen trennen würde. Als „Tanz um das goldene Kalb“ wurde die Wertorientierung schon ansatzweise im „Alten
Testament“ der Bibel kritisiert. Seit auch die menschliche Arbeitskraft global zur Ware geworden ist, hat
diese Orientierung eine neue Qualität bekommen. Die Menschheit ist von den Marktbewegungen des Kapitals, des
sich verselb-ständigenden sich selbst verwertenden Wertes, abhängig geworden. Das merken die meisten erst,
wenn ihnen diese Art Arbeit dauerhaft entzogen wird oder das Erdklima ins Wanken gerät. Diese Wertorientierung
wächst überall dort wieder neu, wo Menschen ihren gesellschaftlichen Zusammenhang nicht bewusst
gestalten.
Deshalb ist es eine Illusion, das Kapital „zähmen“ zu wollen, ohne die wirkliche, menschliche
Bestimmung des gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Zusammen-hanges langfristig gewaltig zu entwickeln. Dabei
spielt auch eine selbstständige, selbstbestimmte, kritische Bildung (vielleicht in Freien Unis ...) eine große
Rolle... Wenn sich den Menschen ihr eigener gesellschaftlicher Zusammenhang in Gestalt von Kapital, Ware und
Geld verselbständigt hat, dann können sie doch anfangen, ihren gemeinschaftlichen Zusammenhang, ausgehend von
ihrem alltäglichen Leben, direkter zu gestalten. Dann hat schließlich der Wert, das Kapital, auch wenn diese
Kraft noch mächtig in dieser Welt ist, keine so erdrückende Bedeutung mehr für sie.
11.) Die direktere Bestimmung des gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Zusammenhanges durch die Menschen
selbst kann sich als neue Qualität zuerst nur „mikrologisch“ in (Klein-)Gruppen zeigen und sich von dort her
allmählich gesellschaftlich auswachsen. Wer und wie viele der jeweiligen Gruppenmitglieder bestimmen wirklich
den Ablauf und das Konzept des Gruppenlebens? Wer erledigt auch die nötigen, vielleicht unbeliebten
Routinearbeiten? Wer redet nur und tut wenig? Das betrifft auch die Überwindung einseitiger geschlechtlicher
Rollenteilungen! Ist es so, dass Männer viel reden und wenig tun? Gruppen können sich in einem
selbstkritischen Bezug die Aufgabe stellen, die reale Bestimmungsgewalt in ihrem Gruppenleben allmählich auf
eine wachsende Anzahl von Aktiven zu verlagern. Alle Versuche einer langfristigen Demokratisierung der
Beziehungen in den Gruppen haben die Ausgangssituation, dass überall in unserer vorgefundenen Gesellschaft die
vorherrschende Bestimmungsgewalt bei ganz wenigen Repräsentanten und Initiatoren dieser Gruppen liegt. Diese
haben überall die faktische Macht.
Erst die Wahrnehmung und Anerkennung dieser in fast allen Gruppen
vorhandenen Herrschaft, dann die darauf aufbauende bewusste, überwindende Arbeit an dieser fest verankerten
Struktur von Repräsentanten und Repräsentierten ermöglicht eine allmähliche Aktivierung und Auflösung dieser
versteinerten Verhältnisse in lebendige, menschliche Aktivitäten. Schon B. Brecht kritisierte zielsicher:
„Viele stehn im Dunklen und wenige stehn im Licht.“ Und erst wenn die vielen, welche in der bisherigen
Menschheitsgeschichte im Dunkeln stehn, durch tätiges Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte sich in einem langen
Entwicklungsprozess sichtbar machen, zerbricht dieses grundlegende Herrschaftsverhältnis. (Siehe zur weiteren
Erklärung das Diskussionspapier im AK LÖK „Zur Kritik des Repräsentativsystems.)
12.) Ein wichtiger Vorläufer für ein Zusammenwachsen verschiedener unterschiedlicher Ansätze ist eine
lebendige, kontroverse Diskussion um Möglichkeiten und Grenzen der Marktökonomie. Nötig wäre aber darüber
hinaus, städte–übergreifend, gruppen-übergreifend, verabredet füreinander etwas herzustellen und sich dieses
wechselseitig ohne direkte Abrechnung zur Verfügung zu stellen. Noch sind diejenigen in den Gruppen, die „über
den Tellerrand“ hinaus denken und sich praktisch verbinden wollen, eine kleine Minderheit.
Immerhin ca.
1400 - waren in Berlin auf dem Kongress Solidarische Ökonomie. Viele sind auch zum Sozialform nach Cottbus
gekommen. Wenn die vielen Einzelnen und Gruppen sich wirklich entschließen, eine praktische Nützlichkeit
füreinander zu entwickeln, dann können sie einen Beitrag leisten zu einer gesellschaftsweit wachsenden
solidarischen Vereinigung „von unten“, die den Namen verdient.
Arbeitskreis Lokale Ökonomie
Hamburg, Oktober 2007
jeden 1. Montag im Monat um 19 Uhr in der Bodenstedtstraße 16:
Plenum der Projekte im AK Lök.
Arbeitskreis Lokale Ökonomie e.V.
Bodenstedtstraße 16
22765 Hamburg
Tel.: 040 - 22 85 93 41
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