Vorwort
Möglichst viel Demokratie ist allerseits gewünscht. Darüber können sich inzwischen viele Menschen einigen.
Nur wenn man näher hinsieht, nimmt sich die wirkliche 'Mitwirkung' der Menschen an 'ihrer' Gesellschaft bisher
sehr bescheiden aus. Ein kleinerer Teil der Menschen ist dauerhaft in einer Sprecherrolle. Andere sind es eher
schon seit ihrer Kindheit gewöhnt, dass andere Menschen für sie sprechen.
Darüber hinaus gibt es eine
Reihe stillschweigender Übereinkünfte, die hauptsächlich in der vorherrschenden Wirtschaftspraxis verankert
sind. Diese faktischen Übereinkünfte laufen ständig in der Alltagspraxis mit. Sie können von einzelnen
Menschen kaum praktisch in Frage gestellt werden, wenn sie nicht verhungern wollen: Gemeint ist die indirekte
Herstellung des gesellschaftlichen Zusammenhanges über den Austausch von Waren und Geld und die darauf
aufbauende Wirtschaftsweise. Dazu ist Grundlegendes im Thesenpapier „Warengesellschaft und Staat“ des
Arbeitskreises Lokale Ökonomie (Dezember 2003) ausgesagt, was hier ergänzt werden soll.
Es soll näher
dargestellt werden, wie die Menschen ihren gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhang über Waren
und Geld einerseits, aber auch über verschiedene repräsentative Funktionen andererseits herstellen. Dabei
tritt klarer zutage, dass sich die Menschen vielleicht eines Tages dahin entwickeln könnten, ihren eigenen
gesellschaftlichen Zusammenhang intensiver, direkter und weniger stellvertretend zu bestimmen. Nach einer
langen Phase von persönlichen Herrschaftsverhältnissen hat sich in der Menschengeschichte seit gut 200 Jahren
auf dieser Grundlage eine zu kennzeichnende unpersönliche, eher versachlichte Herrschaft entwickelt. Diese hat
jedoch Spielräume weitergehender 'Demokratisierung' freigesetzt. Diese weitergehende direkte Einflussnahme der
Menge der einzelnen Menschen auf ihre Gesellschaft kann allerdings nicht an der vorherrschenden
Wirtschaftsweise vorbeigehen. Wie von den einzelnen Menschen in Gemeinschaft ihr Wirtschaften Schritt für
Schritt in die eigenen Hände genommen werden kann, dazu soll in den Schlussabschnitten dieser Schrift etwas
ausgeführt werden.
Zum ...
Verständnis des Textes ist es nötig, den Begriff des gesellschaftlichen und gemeinschaftlichen Zusammenhanges
näher zu bestimmen. Mit 'Gemeinschaft' soll hier der Teil der Gesellschaft bezeichnet werden, der von den
Menschen unmittelbar als direktes Zusammenwirken von Menschen erfahrbar und veränderbar ist. Zum Beispiel sind
die Familie, der kleine Sportverein, der Bekanntenkreis solche Gemeinschaften. Der Begriff erlaubt es im
Verhältnis von Einzelnem und Gesellschaft die Momente in den Blick zu nehmen, in denen Gesellschaft sich für
die Einzelnen geltend macht und über die sie ihr Verhältnis zur Gesellschaft als einen ihnen äußerlichen
Apparat vielleicht verändern könnten. Unsere Gesellschaftsentwicklung mit ihrer gewaltigen Arbeitsteilung hat
auch Zusammenhänge hervorgebracht, die nur teilweise und indirekt erfahren werden können. Zum Beispiel kann
'der Staat' als Ganzes so nicht erfahren werden, sondern nur in seinen einzelnen Funktionen und Trägern dieser
Funktionen.
Der unmittelbar gemeinschaftliche Zusammenhang wird meistens über unmittelbare menschliche
Begegnungen hergestellt – zum Beispiel in der Familie oder im Bekanntenkreis. Bis auf den oft noch
offenkundigen männerherrschaftlichen Einschlag, bzw. Momente direkter personaler Herrschaft, die auch von
Frauen ausgeübt werden können, sind die nicht über Waren und Geld vermittelten Beziehungen der Menschen
zueinander in diesen Gemeinschaften für die Beteiligten einigermaßen durchsichtig und direkt.
In der
vorherrschenden Wirtschaftsweise stellen die Menschen den Zusammenhang zwischen den Bedürfnissen und der
Produktion und Verteilung von Dingen und Leistungen, um diese zu befriedigen, jedoch nicht direkt her. Sie
produzieren in der Regel privat für den Markt. Erst in den zahlreichen einzelnen Austauschaktionen stellt sich
dort ihre Nützlichkeit in bestimmter Menge für Menschen heraus. Der über den Markt hergestellte Zusammenhang
reguliert sich über Krisen. Trotz alles Anfeuerungsgeschreis, doch zu ‚verbrauchen’, um ‚die Wirtschaft’ zum
Wachsen zu bringen, ist der ‚private Verbrauch' eine endliche Größe... nicht nur weil nur endlich viel Geld da
ist, sondern auch, symbolisch gesprochen, mensch nur einmal satt werden kann. Der Drang des Kapitals zur
Selbstverwertung ist allerdings maßlos und versucht ständig vergeblich über das endliche Maß der begrenzten
Aufnahmefähigkeit der Märkte hinauszugehen. Die indirekte Regulation des Wirtschaftens über Waren und Geld
erscheint den Beteiligten als 'natürlich', praktisch und alternativlos. Die Wirtschaftskrisen werden daher mit
Begriffen beschrieben, die den Wetterberichten ähneln ...
Der gesellschaftliche Zusammenhang wird also
einerseits von den Menschen selbst hergestellt: Das ist direkte Begegnung bzw. Zusammenwirken, teils ein damit
verbundenes Herrschaftsverhältnis. In der heutigen entfalteten, vor sich hinkriselnden Warengesellschaft wird
ein noch wachsender Teil des gesellschaftlichen Zusammenhanges (GZ) über die Waren/Geld-Austauschakte und dem
verwandte Beziehungen hergestellt. Hier setzt unser Versuch an, ausgehend von den Tätigkeitsimpulsen der
Einzelnen, einen Bereich zu schaffen jenseits der vermeintlich 'geschlossenen' Warenwelt, in dem Menschen
Erfahrungen sammelt können dabei, Wirtschaften Schritt für Schritt in die eignen Hände zu nehmen (Siehe
Konzeptpapier „So viel Erwerbsarbeit wie nötig, so viel Gemeinschaftsarbeit und freie Zeit wie möglich“, Dez.
2006).
Ein weiterer Teil des GZ wird in dieser Warengesellschaft über Staatstätigkeiten,
Großinstitutionen (z.B. die Gewerkschaften, der ADAC ...) und politische Parteien hergestellt. Diesen Teil
nennen wir hier das Repräsentativsystem. Der über Waren, Geld und Kapital, also über den abstrakten Wert
regulierte GZ wird ergänzt durch von den einzelnen Menschen gründlich abgespaltene Staatsfunktionen und
ähnliche Großsysteme, in denen der Einfluss der Menge der einzelnen Menschen minimal ist. Es seien kurz die
verschiedenen Staatsfunktionen genannt: 1) Verwalten und Koordinieren des so verfassten Gemeinwesens 2) Die
Sozialverwaltung (z.B. Sozialhilfe, Arbeitsämter, staatliche Sozialfürsorge und -arbeit) 3) Die Ordnungsmacht
(Polizei, Militär, Geheimdienste) und das Justizwesen 4) Das Finanz- und Steuerwesen 5) Das Bildungswesen
(Kindergärten, Schulen, Universitäten, Forschung) 6) Das Gesundheitswesen 7) Der Infrastrukturbereich (z.B.
Wasser- und Klärwerke, Schienennetz, Feuerwehr) 8) Das Verkehrswesen 9) Natur, Landwirtschaft und Forsten ...
In diesen „Apparaten“ als Ausdruck von Staatsfunktionen handeln Menschen mit eigenen „Ermessensspielräumen“
als Teil dieses repräsentativen Zusammenhanges, „Staat“. Innerhalb dieser aufgezählten Bereiche spielt Geld
wieder eine wachsende Steuerungsrolle. Schon die unvollständige Auflistung bringt auch die aktuelle Neigung
von Privatisierung von Staatsfunktionen in Erinnerung. Zum Beispiel Post und Fernmeldebereich waren ja bis vor
Kurzem noch staatlich ...
Von der Gebrauchsseite her sind die aufgezählten Funktionen Resultat einer
entfalteten Arbeitsteilung. (Zum Beispiel können und möchten die meisten Menschen für sich keine eigene
Wassergewinnung und ein Klärwerk betreiben.) Von der (Herrschafts-)Formseite her sind diese Staatsfunktionen
bei Instanzen untergebracht, die eine bestimmte 'Gemeinschaftsaufgabe' in der warenproduzierenden Gesellschaft
für die übrigen Menschen erfüllen. Die Bestimmung über diese Teilapparate liegt weitgehend bei den jeweiligen
Verwaltungsleitungen. Letztlich, d.h. was den groben Rahmen und die wesentlichen Zielsetzungen anbetrifft,
sollen alle Zweige der Staatstätigkeit parlamentarisch kontrolliert werden. Die Bestimmung der 'einfachen
Menschen' über ihren GZ findet offenkundig nur sehr eingeschränkt statt: über Wahlen in Gemeinden, Ländern und
dem Bund, auch über Bürgerinitiativen und ehrenamtliche Tätigkeiten im weitesten Sinn.
Zur Rolle der Stellvertreter (Repräsentanten) in der entfalteten Warengesellschaft
Die Repräsentanten haben in dieser Gesellschaft fast alles 'in der Hand', was nicht über den
entpersönlichenden Waren/Geld/Kapital-'Mechanismus' geregelt wird. Bürgerlich-demokratischer Anspruch
(„mündiger Staatsbürger“, 'Mitwirkungsrechte', Meinungsfreiheit ...) und strikt repräsentative Wirklichkeit
klaffen weit auseinander. Der 'nicht-repräsentierende Normalbürger' hat kaum reale Einflussmöglichkeiten -
allerdings auf der Grundlage eines sehr weitgehenden prokapitalistischen Sockelkonsenses, den er oder sie in
den meisten Fällen teilt... Die überwältigende Mehrheit der Menschen ist gegenwärtig so orientiert, dass sie
zu verstärktem Einfluss weder willens noch in der Lage ist. Es hat sich eine verfestigte Konstellation der
Repräsentanz entwickelt, die sich über dem wirtschaftlichen (entwickelt durch die Praxis des Warenaustausches
und die dadurch verursachten Denk- und Handlungsbeeinflussungen) und politischen Konsens erhebt. Der Rest an
wirklicher Bestimmung des Lebenszusammenhanges der einzelnen 'Nicht-Repräsentanten' kann sich somit
überwiegend nur in den Nischen dieses Systems im sogenannten Privatleben und teils in kleinen Vereinen äußern.
Aber auch dort ist die Tendenz zur Repräsentanz beobachtbar. Auch bloße Meinungsäußerung ist auf Leserbriefe
und den Bekanntenkreis beschränkt, während wenige Medienkonzerne Unterhaltung und Nachrichten als Waren
herstellen und in Millionenauflagen verbreiten. „Bürgerzeitungen, Bürgerradio und Bürgerfernsehen“ gibt es
zwar als Randerscheinungen; aber die meisten Menschen sind dazu trainiert solche Möglichkeiten nicht zu
nutzen...
Wenige Menschen werden jeweils schon früh auf ihre Aufgaben der Leitung vorbereitet, den
gesellschaftlichen Zusammenhang über Staatsapparat und Großverbände, Parteien, Vereine usw. indirekt zu
vertreten, d.h. für die anderen Menschen zu vollziehen. Im Zuge derselben Entwicklung werden die allermeisten
Menschen darauf vorbereitet, ihren gesellschaftlichen Zusammenhang eher nicht direkt wahrzunehmen, sondern
andere für sich sprechen und handeln zu lassen. Die repräsentative Aktivität der einen bedingt dann die
repräsentative Passivität der anderen, der übergroßen Mehrheit der Menschen. Ist das System erst einmal so
gewachsen, können die einzelnen Menschen nur noch einzeln wählen, ob sie zur repräsentierenden, aktiven
Minderheit oder zur repräsentiert werdenden, passiven Mehrheit der Menschen gehören wollen. Menschen können
nur noch 'die Seite wechseln.' Die einmal indirekt von vielen Einzelnen selbst mit geschaffene Konstellation
können sie nicht aufbrechen.
Allerdings kann in den letzten Jahrzehnten eine Krise des
Repräsentativsystems beobachtet werden. Sie zeigt sich unter anderem in massiver Unzufriedenheit den 'den
Politikern', in Wahlmüdigkeit, in Bürgerinitativ-Bewegungen, in einem wachsenden Bedürfnis nach Volksbegehren,
auch in Nachwuchssorgen der vorherrschenden Parteien.
Wenn Gruppen in dieser repräsentativ vorgeformten
Gesellschaft neu entstehen - es herrscht ja Versammlungs- und Organisationsfreiheit - , schaffen die Menschen
diese Konstellation der Vertretung durch wenige ständig neu. Selbst wenn in solchen neuen Gruppen keine
ausgesprochenen "Repräsentationsmenschen" sind, drängen die anderen einzelne wenige von ihnen in diese
Rolle.
Repräsentation (Vertretung) wird häufig mit Koordination (Abstimmung aufeinander) und Kooperation
(Zusammenarbeit), gleichgesetzt. Menschliche Koordination und Kooperation bleibt notwendig. Repräsentation
könnte in bedeutenden Teilen durch direktes menschliches Handeln ersetzt und damit eingeschränkt werden.
Menschliche Zusammenarbeit auf Grundlage hoher Arbeitsteilung müsste nicht zu so hohen Anteilen, wie es heute
gewöhnlich erscheint, ausgelagert werden und nur von wenigen, bestimmten Menschen als Träger eines meist
hierarchischen 'Apparates ' durchgeführt werden. Menschen könnten schon vom Kindesalter an lernen, ihre
unmittelbaren Lebensumstände stärker selbst zu regulieren. Ein Keim der Lust zu stärkerer Einflussnahme ist
bei vielen Menschen beobachtbar. Aber warum sollte der in einen verfestigten Repräsentativsystem entwickelt
werden?
Eine Gruppe kann...
– wenn sie will - diese tiefeingewurzelte Neigung zur Vertretung (Repräsentation) erkennen und als Grenze in der Entwicklung ihrer Gruppenkräfte erleben. Sie kann diese Grenze allmählich bewusst verschieben und einen anderen Kurs steuern. Jede Gruppe kann die Gestaltung des gemeinschaftlichen Zusammenhanges durch nur wenige von ihnen sich genau ansehen und absichtlich allmählich ändern. Grundlage dieses langfristigen Aktivierungsprozesses kann nur die Freiwilligkeit sein. Nötig ist dazu, ab und zu eine Bestandsaufnahme zu machen: „Wer bestimmt eigentlich bei uns was? Wo ist es uns gelungen, bestimmte Gruppenfunktionen breiter zu verteilen? Wer hat im letzten Jahr für uns alle nach außen gesprochen? Sind das mehr oder weniger geworden? Wer nimmt Einfluss auf Richtungsentscheidungen der Gruppe? Wer von uns kann einzelnen Gästen darstellen, was wir hier machen? Sprechen immer nur dieselben?“ Zum Beispiel kann die Aktivierung im Umsonstladen, im Kleinmöbellager, im Frauentreff, in der Fahrrad-Selbsthilfe-Werkstatt, in der Gartengruppe ... eine qualitative Stärkung bekommen, dadurch dass die Vertretung des Projektes nach außen, die Diskussionsleitung und das Protokollschreiben auf den Versammlungen, die Darstellung gegenüber den NutzerInnen allmählich von mehr Aktiven durchgeführt wird. Auch wenn die Bestimmungskräfte nachlassen, können wir das merken und gegensteuern. Bisher sind wir noch ganz am Anfang dieses möglichen Weges.
H. K.
Hamburg, April 2006
jeden 1. Montag im Monat um 19 Uhr in der Bodenstedtstraße 16:
Plenum der Projekte im AK Lök.
Arbeitskreis Lokale Ökonomie e.V.
Bodenstedtstraße 16
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