Unsere politische Verortung, unsere Praxis und hier speziell der Umgang mit Textilien
Warum dieser Diskussionsbeitag?
Zurzeit macht sich ja gerade glücklicherweise alle Welt Gedanken über die richtigen Methoden, die Erderwärmung zu begrenzen. Außer vielleicht Frau von Storch, die meint, dass die Sonne einfach gerade etwas doller scheint, und ihre Kompliz*innen am ganz rechten Rand.
Als unsere neuen Räume in der Bodenstedtstraße schon während der ersten beiden Wochen nach dem Einzug von gebrachten Dingen – hauptsächlich Kleidung - „überschwemmt“ wurden, ein Annahmestopp erklärt werden musste und über eine neue Bring-Regel diskutiert wurde, dachte ich, es wäre ganz gut, sich mal mit dem „nachhaltigen“ Umgang mit Textilien zu befassen und damit, wie sich der in der Praxis des AK LÖK ausdrückt. Denn zu unserer politischen Verortung gehört ja auch der ökologische Aspekt. „In all unseren Projekten steht das Prinzip der Nachhaltigkeit ganz oben und mit ihm eine indirekte Konsum und Kapitalismuskritik und das Motto “Reparatur statt Wegwerfen“, steht in der Einleitung des aktuellen Grundlagenpapiers.
Dass wir dazu beitragen, durch die Weitergabe von Gebrauchsgegenständen Ressourcen zu schonen und Müll zu begrenzen, liegt auf der Hand. Aber wie äußert sich dieser politische Ansatz in der Arbeit des AK LÖK und in der Praxis der Schichten? Die Unzufriedenheit damit, dass insbesondere der Umsonstladen häufig als karikative Einrichtung wahrgenommen wird, zieht sich wie ein roter Faden durch die Diskussionsbeiträge: Nutzer*innen fragen, ob sie ihre „Bedürftigkeit“ nachweisen müssen oder ob ihre „gespendeten“ Sachen auch wirklich „Bedürftigen“ zugute kommen, manche bringen nur, andere holen nur usw.. Auch wenn die Diskussionsbeiträge, die das thematisieren schon einige Jahre alt sind, und wir mit dem Umzug zu fux das Signal gesetzt haben, dass wir uns einer bestimmten politischen Alternativszene zugehörig fühlen, bin ich nicht sicher, dass sich das „von selbst“ grundlegend ändern wird – jedenfalls nicht, soweit Leute von außerhalb dieser Alternativszene zu uns kommen. Vielleicht wird der Umsonstladen dann ein bisschen mehr als alternativer Konsumort wahrgenommen, was m.E. auch nicht grundlegend besser ist.
Nach meiner Wahrnehmung geht es im AK LÖK intern schon länger sehr viel um Organisation und um Regeln, sowie die Durchsetzung von Regeln. Es scheint wenig Raum für Diskussionen über politische Inhalte zu sein.
Und nun war es wieder so: Die Begründung für den Annahmestopp war, dass wir nicht genug Platz haben, die Folge, dass es eine neue Regel gibt (Begrenzung des Bringens auf eine Einkaufstüte pro Schicht). So richtig das ist, eine solche Argumentation unterscheidet uns nicht von irgendeiner beliebigen karikativen Einrichtung.
Nicht falsch verstehen: Wieviel eine Gruppe leisten kann, wieviel Raum neben den notwendigen Aufgaben z.B. für politische Diskussionen und Äußerungen bleibt, hängt in erster Linie von den Kapazitäten der beteiligten Menschen ab. Die Zeit vor, während und nach dem Umzug hat die Aktiven – einige besonders – sehr gefordert. Die Orga erfordert nun mal viel Zeit und ist Grundlage der Existenz des Vereins und seiner Projekte. Ohne Regeln wäre es in den Schichten oft sicher sehr schwierig und sie schaffen Verbindlichkeit, sind für alle gleich, so dass nicht der Eindruck eines unterschiedlichen Umgangs mit Nutzer*innen entstehen kann.
Aber vielleicht können wir in die Alltagspraxis trotzdem mehr politische Inhalte und Botschaften integrieren. Ich fand es wichtig, mich im Zusammenhang mit dieser Frage zunächst mit der aktuellen politischen Situation auseinanderzusetzen, um aus dieser eine Einschätzung der derzeitigen Lage und Möglichkeiten politischer Aussagen und Aktivitäten entwickeln zu können.
Ich dachte anfangs, ich recherchiere ein bisschen und schreibe den Text in ein paar Tagen runter, habe dann aber festgestellt, dass sich so viele Informationen angesammelt haben, die irgendwie dazu gehören, dass dieser Diskussionsbeitrag länger geworden ist, als geplant. Im ersten Teil versuche ich zu Papier zu bringen, welche Schlussfolgerungen und Einschätzungen sich aus meiner ganz persönlichen Sicht aus den aktuellen politischen Entwicklungen ergeben.
Der zweite Teil befasst sich mit dem Problem der Überproduktion von Textilien und mit der Frage, wie sich evtl. mehr politische Außenwirkung zu diesem Thema in der Arbeit des AK LÖK verwirklichen lässt. Wem der erste Teil zu langatmig ist, kann gleich zur Überschrift „Textilien“ herunterscrollen, ab da wird es konkreter.
Anmerkungen zum folgenden Text: Da ich keine wissenschaftliche Arbeit schreiben will und Vieles aus Berichten in Funk und Fernsehen „aufgeschnappt“ habe, habe ich die meisten Informationen im Text nicht einzeln belegt. Unter diesem Text sind aber einige Links aufgeführt, die zu besonders interessanten oder sonst lohnenden Texten führen. Ich befasse mich in diesem Diskussionsbeitrag mit der politischen Situation in Deutschland und z.T. mit sonstigen reichen Industrienationen. Selbstverständlich gibt es überall auf der Welt Umweltbewegungen.
Erster Teil: Was passiert da gerade? Zur politischen Dimension der „Nachhaltigkeitsfrage“: Nachhaltigkeitshype und Entscheidungsträger-Politik
Diese Kinder und Jugendlichen, die uns mit ihrem Schulstreik und ihren Aktionen seit einem Jahr daran erinnern, dass es keinen „Planet B“ gibt, haben viel mehr angestoßen, als eine breitere Diskussion über Kohleausstieg und CO2-Steuern. Scheinbar haben alle begriffen, dass es so nicht weiter geht. In den Tagesthemen wurde neulich berichtet, dass sich die Frankfurter Börsianer*innen sorgen, weil sie damit rechnen, dass demnächst ganze Branchen wegbrechen werden, und dass die Investitionen von Privatpersonen in „umweltfreundliche“ Finanzmarktprodukte in den letzten Jahren um 5 Milliarden Euro gestiegen sind. Baumärkte bieten Beratung über bienenfreundliche Gartengestaltung an und verkaufen Insektenhotels, Nestlé schmeißt kompostierbare Kaffeekapseln auf den Markt usw. Es gibt eine ganze Flut von Dokus und Features zur besten Sendezeiten zum Thema, in denen Leute zu Wort kommen, die vorher nur vereinzelt und eher auf irgendeinem dritten Programm ab 23.30 Uhr wahrgenommen werden konnten.
Da ist der Landwirt, der sein Auskommen mit Gemüseanbau in Permakultur findet, der Bio-Bäcker, der schon in Kürze klimaneutral produzieren, vermarkten und vertreiben wird und der seinen Mitstreiterinnen von „Unternehmer (entrepreneurs) for future“ seine Erfahrungen vermittelt, und immer wieder Wissenschaftlerinnen, die zum xten Mal erklären, dass es Lösungen gibt und welche Schritte unternommen werden müssten. Kaum ein Medium, das nicht über die Folgen von Raubbau und die Auswirkungen von Überproduktion und Vergiftung berichtet. Überall „Nachhaltigkeitstipps“, wie spare ich Plastikmüll ein, wie kaufe ich umweltbewusst ein, wie wasche ich energiesparend, welche fair gehandelten Öko-Alternativen gibt es. Auch die Beschränkung des Besitzes auf das Wesentliche ist inzwischen ein Trend, der durch die aktuelle Klimadebatte befördert wird. Lifestyle-Magazine berichten über Familien, die ihr Haus ausräumen und im Selbsttest jeden Tag zwei Sachen wieder reinholen, um zu sehen, was sie wirklich brauchen. Neulich sah ich in der ARD einen Bericht über Ordnungsberaterinnen, deren Dienste Menschen bezahlen, die sich von zu viel Besitz trennen wollen. Die erste Beraterin meditierte erst mal eine Runde mit ihren Auftraggeberinnen und begrüßte feng-shui-mäßig das Haus, die nächste, kerniger, ging gleich auf die überfüllten Regale los, während sie erklärte, dass allen Sachen eine gewisse Bedeutung zukomme. „Minimalismus“ heißt der neue Trend.
Ich muss zugeben, dass ich das ganze Thema in den letzten Jahrzehnten ziemlich verschlafen habe. Ich hatte andere politische Schwerpunkte. Diskussionen über Krötenwanderungen und mehr Fahrradwege gingen mir angesichts dessen, was Sexismus, Rassismus, Kriege undsoweiter mit und aus Menschen machen, einfach nur auf den Keks. Müll trennen? Okay. Auch das eine oder andere Lebensmittel in Bio-Qualität kaufen, soweit mein Einkommen das zuließ, aber sonst? Sich umfassend „nachhaltig“ zu verhalten verband ich in meinem Hinterkopf eher mit dem „Bionade-Bürgertum“, mit Besserverdienenden, die im Grunde politisch nichts verändern, sondern nur weniger Gift zu sich nehmen wollen – und sich das leisten können. Warum sollte ich – nie mit viel Geld ausgestattet - mich noch mehr einschränken, als ich es sowieso schon muss. Auch wenn ich nicht mehr in Urlaub fliege, auf Fleisch verzichte usw.: Die Wirtschaft passt sich ja doch wieder an, findet und erschafft neue Märkte und kann so weiter ohne Rücksicht auf Verluste agieren. Bestes Beispiel, immer wieder von Expert*innen angeführt, ist, dass der Fleischkonsum in Deutschland zwar tatsächlich zurückgegangen ist, das aber nichts an der furchtbaren Massentierhaltung mit ihren katastrophalen Folgen für Klima und Umwelt, ändert, weil dann eben mehr Fleisch ins Ausland exportiert wird. Zum Beispiel nach Indien, wo traditionell bisher sehr wenig Fleisch konsumiert wurde, eine relativ neue, anwachsende Mittelschicht jetzt Fleischkonsum als Statussymbol betrachtet.
Und mit dem Begriff „Nachhaltigkeit“ ist schon viel Schindluder getrieben worden. Politiker*innen, die sich das auf die Fahne geschrieben haben, haben doch immer wieder Kompromisse geschlossen, um „deutsche Wirtschaftsinteressen nicht zu gefährden“ usw. Momentan entsteht der Eindruck, dass dieser Begriff eher zur Befriedung eines Aufbegehrens gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen der Menschheit dient, als zur Beförderung eines gesellschaftlichen Wandels. Mach hier und da ein bisschen was anders und überlasse den Rest denen da oben.
Das Konsumverhalten Einzelner ist nur ein Faktor, allerdings kein unwesentlicher, denn – soweit es nicht um Rüstungsgüter und Ähnliches geht – wird für die Märkte und damit für Konsumentinnen produziert, dafür fliegen Managerinnen hin und her, verpesten Containerschiffe die Meere, kurven Laster durch die ganze Welt. Um aber wirklich grundlegend etwas zu ändern, müsste die Weltwirtschaft weg von dem Prinzip des permanenten Wachstums und der reinen Profitorientierung, müssten internationale Handelsbeziehungen neu gedacht, die Finanzmärkte größtenteils abgeschafft, Staatsverschuldungen gestrichen werden usw. Aber darauf, dass in dieser Richtung etwas in Bewegung kommt, sieht es gerade so gar nicht aus.
Und die Kids haben Recht mit ihrer Hauptaussage: Wir haben keine Zeit mehr. Falls „die Revolution“ im Sinne einer möglichst globalen, menschen- und umweltfreundlichen Wirtschaftsweise jemals stattfinden sollte, dann nicht mehr rechtzeitig, um unsere Lebensgrundlagen auf dem Planeten auf Dauer erhalten zu können. Ein Stück weit müssen wir deshalb nehmen, was wir kriegen können, eine schwarz-rote oder schwarz-grüne Regierung ist besser als eine schwarz-gelbe, die CO2-Steuer (ein Prinzip, das mal wieder suggeriert, dass der Markt es schon regeln wird) im Zweifel besser als gar nix. Ein „Nachhaltigkeitslifestyle“ kann zumindest nicht schaden. Mehr Umsatz bei Bio-Produkten bedeutet etwas weniger Gift im Boden, den Gewässern und Organismen. Ohne die „Verbrauchermacht“ der „nachhaltig“ denkenden Konsument*innen, hätte sich Nestlé einen Dreck um die Kompostierbarkeit der Kaffeekapseln geschert. Und: Trends schaffen Bewusstsein, manchmal mehr als trockene Information.
Und so sehr das Nachhaltigkeitsgerede lobbyistisch handelnder Politiker*innen auch nervt, durch die derzeitige Berichterstattung wird auch sichtbar, dass sich immer mehr Menschen wirklich Gedanken machen und sich vom umweltschädlichen Massenkonsum abwenden. Es scheint sich ein eher kulturell als politisch dominierter Wandel zu vollziehen. Kultur ist mehr als Politik. Sie umfasst politische Haltungen genauso wie Lebensstile, Denk- und Ausdrucksweisen, in die Politik zwar fast immer hineinspielt, ebenso aber Traditionen, Zeitgeist und Wertvorstellungen, die nicht unbedingt einen direkten Bezug zur politischen Haltung haben müssen bzw. auch von Menschen geteilt werden, die sich wenig Gedanken um Politik machen.
Ohne Zweifel herrscht hierzulande immer noch eine Kultur des massenhaften Konsums vor, die die Folgen von Raubbau und Vergiftung weitgehend ignoriert. Trotz des „Nachhaltigkeitstrends“ sind in den letzten Jahren mehr SUVs verkauft worden und wer sich einen besonders umweltfreundlichen Kühlschrank kauft, stellt allzu oft das alte Modell zusätzlich in den Keller, um darin Getränke zu kühlen.
Wenn aber nun, vom/von der politischen Aktivistin über den/die Bionade-Bürgerin, Gartenbesitzerin, Lebensmitteleinkäuferin bis hin zum (wie Hinz und Kunzt neulich berichtete) Obdachlosen, der Müll aufsammelt um ihn sauber getrennt zu entsorgen, immer mehr Menschen sich Gedanken darüber machen, was sie dazu beitragen können, anders zu konsumieren und die Umwelt zu schonen, was ist das dann anderes, als eine Änderung von Denk- und Handlungsweisen, Wertvorstellungen und Lebensäußerungen, eben eine kulturelle Veränderung? Als ich anfangs überrascht und auch ziemlich begeistert von dem war, was sich da tut, kam mir der Begriff „Kulturrevolution“ in den Sinn.
„Bewegung“ erschien mir nicht passend, weil es zwar jede Menge Gruppen, Initiativen und Organisationen gibt, die im Grunde ähnliche Ziele verfolgen, aber meist gezielt zu einem Thema (Klima, Naturschutz, Landwirtschaft, Massentierhaltung etc. pp.) arbeiten oder Kampagnen starten und untereinander wenig vernetzt sind, so dass sich eher das Bild vieler Bewegungen ergibt. Und die individuellen Bemühungen vieler Einzelner, sich umweltfreundlicher zu verhalten, würde ich noch nicht einmal als Bewegung verstehen, eher – wie gesagt - als Trend. Trotzdem gehört beides zusammen: Auch große Umweltverbände veröffentlichen schon seit längerem „Nachhaltigkeitsratgeber“, die Nabu-Jugend hat gerade eine online-challenge zum Thema Plastikvermeidung gestartet. Die Expertise der Verbände ist mehr denn je gefragt. Trotzdem gehören die vielen Einzelnen, die davon erreicht werden, nicht eigentlich einer der Bewegungen an.
Exkurs: Kulturrevolution? Gesellschaftliche Fronten entlang der Klimadebatte
Natürlich ist der Begriff problematisch, denken doch fast alle dabei an die chinesische Kulturrevolution, von oben verordnet, gewaltsam durchgesetzt und für viele Menschen tödlich, und er wird von der Rechten als Kampfbegriff benutzt. Deshalb, und weil natürlich kaum auszumachen ist, wieviele Menschen wirklich einigermaßen konsequent dem Trend folgen, würde ich ihn in der gesellschaftlichen Debatte nicht benutzen. Ich denke aber, wir sollten beachten, dass entlang dieses Begriffs und der mit ihm assoziierten Inhalte eine neue gesellschaftliche Frontlinie entstehen könnte.
Im Internet ist es längst soweit: Rezo hat in seinem Youtube-Video „Die Zerstörung der CDU“ geäußert: „Es geht hier nicht um verschiedene legitime politische Meinungen, sondern es gibt nur eine legitime Einstellung.“ Dieser Satz bezog sich auf seine ausführlichen Ausführungen darüber, dass weit über 90 Prozent aller Wissenschaftler*innen – eigentlich alle, die seriöse Forschung betreiben - zu dem Schluss kommen, dass die Klimaerwärmung durch menschliches Handeln verursacht bzw. verstärkt wird und zu einer dringenden „Kursänderung“ raten. Rezo brachte unmissverständlich zum Ausdruck, dass es sich dabei nicht um eine Meinung, sondern um eine Tatsache handelt. Unter der Überschrift: „Die grüne Kulturrevolution – wieviele Tote wird sie fordern?“ veröffentlichte jemand ein „Gegenvideo“, in dem dieser Satz Rezos permanent wiederholt und mit Bildern von marschierenden Rotchinesen und anderen Menschen in ehemals sozialistischen Ländern sowie mit eingeblendeten Sätzen kommentiert wird, in denen zur „Verteidigung der Demokratie“ aufgefordert wird. Ein weiterer „Debattenbeitrag“ in Videoform auf einer Website greift das auf: Ein Mittvierziger, der mit flackerndem Blick in die Kamera guckt, erklärt raunend, die Parallelen zur chinesischen Kulturrevolution seien unübersehbar, die Jungen würden gegen die Alten aufgehetzt, es gebe eine Gehirnwäsche, „fridays for future“ sei zentral gesteuert, das „Staatsfernsehen“ verbreite die dreiste Lüge vom menschengemachten Klimawandel etc. pp.
Ginge es nur um ein paar Verschwörungstheoretikerinnen, die derartigen Unsinn zusammenreimen, könnte ich getrost kichern und dann vergessen. Aber die AfD befeuert mit ihrer Leugnung der menschengemachten Klimaerwärmung solche Phantasien. Und der US-amerikanische Präsident tritt nicht sehr viel anders auf, wenn er behauptet, der Klimawandel sei eine Erfindung der Chinesen, die die amerikanische Wirtschaft schädigen wollten, seine Anhängerinnen gegen Journalist*innen aufhetzt, indem er kritische Berichterstattung permanent „fake news“ nennt und sich von Ultrarechten, wie z.B. der „Alternative Right“ (Alt Right) -Bewegung bejubeln lässt. Der brasilianische Präsident hat seine Wahl offenbar unter anderem mit der Konstruktion einer „kommunistischen Bedrohung“, die die „nationale Gemeinschaft“ gefährde, gewonnen und erklärt, dass wirtschaftliche Interessen wichtiger seien, als der Schutz des Regenwaldes.
Rechtsnationalistische Politikerinnen Europas gebärden sich unterschiedlich. Am Donnerstag, dem 20. Juni, konnten sich die Staats- und Regierungschefs der EU nicht auf eine CO2-Neutralität bis 2050 einigen, weil vor allem Polen, Ungarn und Tschechien Einwände erhoben. Die österreichischen Sozialdemokratinnen haben Anfang Juli 2019 ein Glyphosat-Verbot nur mithilfe der FPÖ durchsetzen können. In Großbritannien, wo das in Teilen sehr rechtslastige Brexit-Lager mit Johnsons Machtübernahme noch weiter in Richtung „Vorrang nationaler Interessen“ gehen wird, hat eine CO2-Bepreisung, die (jedenfalls direkt) nur Unternehmen betrifft, wohl schon zu einiger Reduzierung des Klimagasausstoßes geführt.
Hierzulande sind die Fronten auf parteipolitischer Ebene allerdings klar und beeinflussen die Entscheidungen der Regierung schon jetzt sehr direkt. In der ARD-Sendung „Hart aber Fair“, in der es u.a. um das aktuelle Waldsterben als Folge der Dürre in 2018 ging, ging der Journalist Franz Alt Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner hart an, weil die Bundesregierung am Kohlekompromiss festhält, der ein Ende der Förderung, u.a. in Sachsen, erst im Jahr 2038 vorsieht. Er wisse doch, was in Sachsen mit der Gesellschaft passiere, entgegnete Klöckner. Vor Ort sei da eine so aufgeheizte Stimmung. Er wisse, wie dort gewählt werde. Klarer konnte sie nicht zum Ausdruck bringen, wie die Angst vor weiteren Wahlerfolgen der AfD politische Entscheidungen zum Klimaschutz beeinflusst, wenn im Hintergrund sicher auch Wirtschaftsinteressen und Lobbyismus eine mindestens genauso große Rolle spielen.
Die deutschen Regierungspolitikerinnen stehen unter Druck. Von „Links“ fordern „fridays of future“ und Grünen-Sympathisantinnen eine effektive Bepreisung fossiler Energieträger, von Rechts wird die AfD gegen jede Bepreisung hetzen und – leider – wahrscheinlich noch mehr „Protestwähler*innen“ um sich scharen. Und FDP-Lindner gießt Öl ins Feuer, indem er im ARD-Sommerinterview innerhalb weniger Minuten dreimal von „planwirtschaftlichen“ Einzelmaßnahmen spricht, um damit anstehende gesetzliche Regelungen zum Klimaschutz zu kritisieren.
Insbesondere: Konsumverzicht
Wer sich mit der Verknappung der weltweiten Ressourcen, der Vergiftung des Planeten und den Ursachen der Klimaerwärmung auseinandersetzt, kommt irgendwann zu dem Schluss, dass wir alle weniger konsumieren müssen – in allen Lebensbereichen. Noch so ausgefeilte technische Neuerungen oder „umweltgerechte“ Produktionsweisen werden auf Dauer nichts daran ändern. Wenn auch Wirtschaftsvertreterinnen und Politikerinnen der FDP immer wieder erklären, sie hätten Vertrauen in technische Lösungen, zeigt sich bei näherer Betrachtung, dass dies nur Zwischenlösungen sein können. Die müssen angegangen werden, damit relativ schnell etwas passiert, denn – wie gesagt – die eigentlich notwendige Umstellung der Weltwirtschaft ist ein riesiges Unterfangen, das sich nicht kurzfristig umsetzen ließe, selbst wenn weltweit alle mitmachen würden.
Ich fürchte, dass die Thesen zum Klimaschutz im Diskussionspapier 9 aus dem Jahr 2009 insofern überholt sind: weder werden 0,1% der jährlichen Wirtschaftsleistung ausreichen, die Probleme zu lösen – allein mit Geld sind die Probleme, glaube ich, sowieso nicht in den Griff zu kriegen - , noch ein energiesparender Umbau aller technischen Prozesse, in denen Treibhausgase freigesetzt werden, noch die Umstellung auf klimafreundliche Antriebe.
Zum Beispiel: Die Katalysatoren, die die Schadstoffe aus den Abgasen von Verbrennungsmotoren ungiftiger machen sollen, sind irgendwann selber Giftmüll, der entsorgt bzw. gelagert werden müssen und dadurch neue Gefahren erzeugen. Langsam spricht sich herum, dass Elektroautos nicht die Welt retten werden. Für die Batterien wird Lithium verwendet, bei dessen Gewinnung das fragile Ökosysteme in Südamerika zerstört und der dort lebenden Bevölkerung Land und Wasser geraubt wird. Die Herstellung eines 100-kWh-Akkus, notwendig für eine Reichweite eines Elektroautos von rund 400 Kilometern, verursacht eine Klimabelastung von 15 bis 20 Tonnen Kohlendioxid. Ein Wert, für den ein 6-Liter Mittelklassewagen mit Benzin- oder Dieselmotor bis zu 100.000 Kilometer weit fahren kann. Ein Austausch 1: 1 von Verbrennungs- zu Elektromotoren würde wenig ändern. Auf Dauer hilft nur: Weniger Auto fahren.
Zum Beispiel: Die allseits bejubelte Digitalisierung kann sich zwar positiv auswirken (internationale Videokonferenzen ersparen Flüge, E-Mails Papier usw.) aber die Hardware verschlingt u.a. Sand, der langsam weltweit knapp wird. 50 Mrd. Tonnen Sand werden jährlich von Stränden, vom Meeresgrund und aus Flüssen gefördert, hauptsächlich für Betonbauten, aber eben z.B. auch für Elektronikbauteile. Die Sahara wird nur deshalb nicht leer gebaggert, weil sich die ebenmäßige Körnung des Wüstensandes nicht für industrielle Zwecke eignet. In einem Handy stecken u.a. 30 Metalle, deren Gewinnung teils in einem Nationalpark erfolgt, wo die letzten Gorillas leben, teils durch Kinderarbeit in Minen, und auch die sogenannten „seltenen Erden“, die mithilfe hoch giftiger Substanzen gewonnen werden. Ich möchte gar nicht wissen, was es kostet, wenn statt eines Menschen „Alexa“ die Rollläden runterlässt, die Heizung anschmeißt, den Staubsaugerroboter steuert, ganz zu schweigen von selbstfahrenden Autos und weiteren Neuerungen im Bereich der intelligenten Technologie.
Und die Nutzung des Internets? „Seit Du mir erzählt hast, dass googeln so viel Energie verbraucht, wie eine Tasse Wasser zu kochen, überlege ich immer, wenn ich mir einen Tee mache, ob ich nicht lieber was googeln soll“, sagt Marc-Uwe Kling zum Känguru. Wenn das stimmt, müsste ich wahrscheinlich nach den Recherchen zu diesem Diskussionsbeitrag mindestens zwei Jahre lang auf Heißgetränke verzichten. Eine einzige Anfrage bei einer Suchmaschine kostet vier Watt Strom oder zwei Gramm CO2-Ausstoß, heißt es in einem Zeitungsartikel. Das entspräche dem Stromverbrauch einer Energiesparlampe, die eine Stunde lang brennt. Na ja, jedenfalls renne ich nicht mit starrem Blick auf ein Smartphone durch die Gegend, anstatt mal den guten alten Papierstadtplan zu studieren oder Leute nach dem Weg zu fragen, spiele keine online-Spiele und ich bin auch nicht mit virtueller Identität im Netz unterwegs und verpulvere dabei den durchschnittlichen jährlichen Stromverbrauch eines/einer Brasilianer*in.
Zum Beispiel: Die riesigen Maisanpflanzungen zur Biogas-Gewinnung, die schon ganze Landstriche prägen, könnten durch Blumenwiesen ersetzt werden. Bestimmte blühende Wildpflanzen eignen sich genauso gut, die Erträge sind etwas geringer, dafür spart der/die Landwirt*in an Pestiziden, Düngemitteln und Maschineneinsatz. Mit entsprechender Subventionierung könnten also kurzfristig große Lebensräume für Insekten und andere Tiere geschaffen, und die Vergiftung von Böden und Gewässern verringert werden – und das sollte auch passieren. Aber die Weltbevölkerung wächst und braucht mehr und mehr Anbaufläche für Nahrungsmittel. Noch ist genug vorhanden, eine gerechtere Verteilung könnte den Hunger in Teilen der Welt besiegen, heißt es. Zurzeit mehren sich die Hinweise, dass sich das schneller ändern wird, als noch vor ein paar Jahren prognostiziert, tauen Arktis und Antarktis doch schneller auf, als gedacht, so dass jetzt z.B. schon ganze Teile Indonesiens im Meer verschwinden. Mehr und mehr „Wetterkapriolen“ vernichten Ernten, vergiftete Böden sind für die Landwirtschaft nicht mehr geeignet, Dürren folgen auf Dürren, Wüsten breiten sich aus, ganz zu schweigen von Kriegen, die Millionen Menschen an der Nahrungsmittelproduktion hindern und von Hilfslieferungen der UN abhängig machen. Wie lange wir uns hierzulande noch in dem Ausmaß Blumenwiesen für die Energiegewinnung leisten könnten, in dem jetzt Mais zum Verheizen angebaut wird, ist fraglich.
Photovoltaikanlagen bestehen im Wesentlichen aus Glas und Silizium, das aus Sand (Quarzsand) gewonnen wird, und auch aus den oben genannten „seltenen Erden“ und haben häufig Aluminiumrahmen. Das Silizium wird mithilfe von Schmelz-, Reinigungs- und Destillationsprozessen bei hohen Temperaturen aus dem Quarz hergestellt. Für Reinigungsprozesse nutzen Hersteller Säuren und Laugen. Zur elektrischen Ausrichtung bringen sie Phosphor und Bor in die Zellen ein, und beim Verlöten kommt Blei ins Spiel. Diese Chemikalien und Schwermetalle finden sich später in den Abwässern der Fabriken wieder. Die Zellen halten ca. 20 – 25 Jahre. Theoretisch kann recycelt werden und es gibt auch Verbesserungsmöglichkeiten im Herstellungsprozess. Dennoch birgt eine Massenproduktion ähnliche Probleme, wie die zur Hardware beschriebenen.
Windkraftanlagen bestehen aus sehr viel Stahl, dessen Gewinnung und Verarbeitung jede Menge Energie verbraucht, und sehr viel Beton, für dessen Herstellung sehr viel Sand gebraucht wird, und schreddern – wie Kritiker*innen beklagen – jährlich eine halbe Million Vögel und Fledermäuse. Sie halten ebenfalls ca. 20 Jahre lang, und auch wenn die Baumaterialien recycelt werden, kostet das sehr viel Energie.
Natürlich ist Öko-Strom auch ein ganz normaler Markt. Mit den erneuerbaren Energien sei es möglich, bei einer Verdoppelung der Stromproduktion die umweltschädlichen Emissionen bis 2050 auf heutigem Niveau zu halten oder gar zu senken, zitiert die Zeitung „Welt“ Experten in einem Artikel vom 7.10.2014. Ich glaube, es ist klar, dass es das nicht bringen wird. Auf Dauer hilft nur: Weniger Energie verbrauchen. Und so sieht es mit jedem Thema aus, mit dem ich mich bislang beschäftigt habe.
Deshalb: Selbst wenn viele nur noch Elektroautos und Bioprodukte kaufen usw., dabei aber in dem gleichen Ausmaß wie bisher konsumieren, wird das nicht reichen. Solange immer nur neue Märkte für die Bio-Konsument*innen erschafft werden und sich die Produktion und Vermarktung nach den Prinzipien Wachstum und Profitmaximierung richtet, können bestenfalls Klimagase und Vergiftung etwas eingedämmt werden. Ausreichend Ressourcen für die Bedürfnisse aller werden so nicht erhalten bleiben können. Und es wird schon gar nicht dafür sorgen, dass eine solidarische Verteilung der Güter alle Menschen erreicht wird.
„Anders“ konsumieren, kann deshalb nicht nur bedeuten, „Anderes“ „anders“ einzukaufen oder zu beziehen, es geht tatsächlich um Verzicht, um einen materiell niedrigeren Lebensstandard in den Konsumgesellschaften bzw. Konsumgesellschaftsschichten. Der Weltklimarat hat dem arte journal vom 8.8.2019 zufolge in seinem jüngsten Sonderbericht zum Klimawandel auf die rasante Beschleunigung der Klimaerwärmung aufmerksam gemacht und fordert u.a. eine Reduzierung des weltweiten Fleisch- und Milchkonsums um 50%. Auch wenn es im Hinblick auf die derzeitige Situation angemessen wäre, Konsumgüter und Energieverbrauch und Reiseverkehr sofort zu rationieren, den Verbrauch und Konsum direkt gesetzlich zu sanktionieren, statt nur zu besteuern, wird das natürlich nicht geschehen.
Zunächst muss weiter „um die Köpfe“ gekämpft werden, um eine vertiefte Einsicht, dass Einschränkungen nötig sind. Beim derzeitigen Konsumverzicht- bzw. Minimalismustrend geht es viel um Wohlfühlaspekte, Ballast loswerden und ein besseres Gewissen beim Konsum, halt freiwillig ein bisschen nachdenken und verzichten. Sobald mit der anstehenden CO2-Bepreisung eine Verteuerung eintreten wird, kann das ganz anders aussehen.
Spätestens seit den Gelbwesten-Protesten in Frankreich, ausgelöst durch die höhere Besteuerung fossiler Kraftstoffe, wissen alle Politiker*innen, was passieren kann, wenn den Leuten zusätzlich in die Taschen gegriffen wird. Während die heterogene Gelbwestenbewegung einerseits noch immer um berechtigte soziale Interessen kämpft, heißt es andererseits, dass die Steuer Marine LePens rechtsnationalistischer "Rassemblement National" zum Sieg bei der EU-Wahl über Macrons wirtschaftsliberaler „République en Marche" verholfen hat. Hier – und nicht nur in Frankreich – zeigt sich, dass die aktuellen politischen Machtkämpfe zwischen Wirtschaftsliberalen und der Rechten ausgetragen werden.
Echte Not wird die CO2-Bepreisung hierzulande sicherlich nicht auslösen und auch ein sozialer Aufstand mit Ausmaßen wie in Frankreich ist in der BRD kaum vorstellbar. Vermutlich wird die „Steuer“ eher so gering ausfallen, dass sie nicht sehr effektiv ist und trotzdem zum politischen Zündstoff wird. Es wird sich zeigen, ob die AfD dann „Volkes Zorn“ ähnlich mobilisieren kann, wie in der Migrationsdebatte. Zurzeit sollen die Wahlprognosen bezüglich der anstehenden Wahlen in den östlichen Bundesländern ein Erstarken der Grünen aufzeigen, aber es gibt es ja noch keine Verteuerung durch eine Klimagasbepreisung und der Machtkampf zwischen wirtschaftsliberalen Alternativmarktbefürwortern und Rechten wäre auch bei Regierungsbeteiligungen der Grünen noch lange nicht ausgestanden.
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass der „Protest“ von Rechts bei der Meinungsbildung langfristig eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen wird. Auch Leute, die ansonsten nicht rechtslastig denken, werden den Protest aufgreifen, sei es aus einer Art Protestreflex gegen den Nachhaltigkeitsmainstream oder einer Abwehr gegen das „Katastrophengerede“, sei es, weil sie auf Versatzstücke rechter Anti-Klimaschutz-Rhetorik hereinfallen. So begegnet es mir jedenfalls im eigenen Bekanntenkreis und springt bei Leserbriefen ins Auge. Trotz Nachhaltigkeitshype wird es also weiter um den „Kampf um die Köpfe“ gehen, nicht nur, was individuelle Verhaltensweisen angeht, sondern auch in Bezug auf die politische Haltung der einzelnen Menschen.
Öko- und andere (Graswurzel)-Bewegungen: Vom Umweltschutz zum Antikapitalismus?
Der Gedanke, dass die Umweltschutzbewegungen auch am Wirtschaftssystem kratzen, ist nicht neu. Meist werden die Auseinandersetzungen um soziale und um Umweltfragen aber immer noch getrennt wahrgenommen. Das ist angesichts der Unübersichtlichkeit von Umweltgrüppchen, Organisationen und Bewegungen auch kaum anders möglich. Bis heute besteht die Motivation, sich in Umweltfragen zu engagieren, sehr häufig aus persönlicher Betroffenheit: Keine Umgehungsstraße durch mein Dorf, kein Atomendlager vor meiner Tür usw. und in der bundesdeutschen neueren Geschichte haben sich Linke immer wieder an diesen Protesten beteiligt und versucht, die größere Dimension in die Auseinandersetzungen einzubringen. Die Bewegung für Klimaschutz hat allerdings endgültig den Blick aufs Ganze eröffnet und den Zusammenhang zwischen globaler Wirtschaftweise und der direkten Betroffenheit Einzelner unübersehbar hergestellt. „Fridays for future“ wird auch von links kritisiert, u.a. weil an Politikerinnen appelliert wird, was historisch gesehen nur selten genützt hat. Dabei wird meiner Meinung nach einiges übersehen, z.B. dass all die erwachsenen Linken es eben auch nicht geschafft haben, einen effektiven Schutz der Lebensgrundlagen der Menschheit zu erreichen. Und jetzt sollen die Schülerinnen das System stürzen? Mehr oder weniger „altlinke“ Kämpfe fortführen? Sich an den „richtigen“ linken Analysen orientieren? Die Linke ist nun einmal sehr, sehr ausgedünnt. Die Zeiten, in denen sich Splittergruppen über den richtigen Weg zur Revolution streiten, sich gegenseitig und andere politische Initiativen in Grund und Boden kritisieren, sind, ich erlaube mir die flapsige Ausdrucksweise, „sowas von 20. Jahrhundert“. Ich finde nichts daran verkehrt, wenn Jugendliche zunächst mal Erwachsene konfrontieren und dabei sehr viele Menschen inhaltlich mitnehmen. Und das machen sie sehr gut und sehr konsequent.
Fragt sich, ob auch in anderen Ökobewegungen und ihnen verwandten Initiativen Potential für den Angriff auf das Wirtschaftssystem steckt. Die „erwachsenen“ Vorläufer der Schüler*innenbewegung, die großen Umwelt-NGOs, äußern sich in der Regel nicht politisch im Sinne einer konventionellen Links-Rechts-Programmatik.
Greenpeace z.B. benennt allerdings als grundsätzliches Ziel die Verteidigung „unveräußerlicher globaler Gemeingüter, ohne die kein Gemeinwohl möglich ist“, die Deutsche Umwelthilfe den Erhalt unseres Planeten. Der BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) geht weiter und benennt als wesentliche Ziele die „weltweite Bekämpfung der Armut und die Anerkennung der ökologischen Grenzen des Wirtschaftens“. Der BUND ist Mitglied der internationalen Vereinigung „Friends of the earth“, mit Mitgliedsgruppen in 75 Ländern auf allen Kontinenten außer Australien, die zurzeit u.a. eine Kampagne „für wirtschaftliche Gerechtigkeit und Widerstand gegen den Neoliberalismus“ (economic justice and resisting neoliberalism) führt. „Friends of the earth“ bezeichnen sich als größter Zusammenschluss von „Graswurzel-Umweltgruppen“ (federation of grassroots environmental groups).
Die „fridays for future“-Bewegung heißt es, lässt sich nicht vereinnahmen, was allgemein begrüßt wird. Ich finde das auch richtig, ist doch die Botschaft, dass die Zukunft aller – unabhängig von jeder politischen Meinung – auf dem Spiel steht. Und „Flügelkämpfe“ unter den Schülerinnen würden die Bewegung vermutlich innerhalb kürzester Zeit aufreiben. Allerdings habe ich in der Fernsehberichterstattung über die Demos der Kids schon Transparente mit Parolen wie: „Das Problem heißt Kapitalismus“ oder „Ihr verkauft unsere Zukunft für Profit“ gesehen. Ich gehe nicht davon aus, dass das auf eine explizit linke Programmatik einiger Schülerinnen hindeutet. Die meisten nach 2000 Geborenen können mit dem traditionellen Links-Rechts-Schema vermutlich relativ wenig anfangen – links gibt es nicht mehr viel, rechts die AfD gegen die sich die gesamte wirtschaftsliberale „Mitte“ positioniert. Ich glaube eher, dass hier der Blick auf die Verhältnisse ausgereicht hat: Jeder Mensch mit einem Minimum an Bildung, sozialem Gewissen und der Bereitschaft, sich Zusammenhänge anzusehen, muss eigentlich erkennen, dass eine auf permanentes Wachstum und Profitorientierung ausgerichtete Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung schädlich für die Menschen und ihren Planeten ist. Wenn sie mit der Forderung nach Einführung einer wirksamen CO2-Steuer ein eher wirtschaftsliberales Konzept propagieren, werden sie dies in Folge der Vorschläge zahlreicher „Expert*innen“ tun, und in dem Bedürfnis, etwas schnell Umsetzbares auf den Weg zu bringen.
Das Aktionsbündnis „Ende Gelände“, das seit 2015 Aktionen des zivilen Ungehorsams im Rheinischen Braunkohlerevier gegen RWE auf die Beine stellt, äußert sich wesentlich klarer als andere Umweltinitiativen und fordert auf zu: „Ungehorsam gegen Kapitalismus und für Klimagerechtigkeit weltweit.“ Natürlich wird Ende Gelände vom Verfassungsschutz beobachtet, nach dessen „Erkenntnissen“ das Aktionsbündnis „maßgeblich von der Interventionistischen Linken beeinflusst“ wird, gegen die die Behörden schon im Zusammenhang mit den G20-Protesten von 2017 in Hamburg wenig erfolgreich vorgegangen waren. Schwer zu sagen, ob Verfassungsschutz und Co. sich bloß nicht vorstellen können, dass Leute auch ohne „linksextremistische Beeinflussung“ auf die Idee kommen, den Kapitalismus als Ursache für die derzeitige Klimaerwärmung und ihre Folgen zu sehen und gegen ihn zu protestieren, oder ob es nur um die übliche Diffamierung geht. Als im Juni 2019 anlässlich einer geplanten Demo in Aachen, „fridays for future“ von Polizei und Stadtverwaltung vor einer „Instrumentalisierung“ durch „gewaltbereite Gruppierungen von Ende Gelände“ gewarnt wurde, fassten die Schüler*innen dies als gezielten Spaltungsversuch auf und solidarisierten sich ausdrücklich per Pressemitteilung mit Ende Gelände. 19 weitere Gruppen und Organisationen taten es ihnen gleich, darunter der BUND, Oxfam und die Naturfreunde. Da tut sich was. Mal schaun, was noch draus wird.
Und dann gibt es ja noch die kleinen Gruppen, die auf Initiative einzelner Privatmenschen entstanden sind, und in der einen oder anderen Weise Alternativen zur kapitalistischen Konsumgesellschaft ausprobieren. Ich nenne sie in diesem Diskussionsbeitrag „Graswurzelinitiativen“.
Am bekanntesten sind diejenigen aus dem Bereich Ernährung. Das urban farming, nach dem Niedergang der Autoindustrie in Detroit in den 70ern aufgegriffen und weiterentwickelt, hat eine starke Vernetzung selbstorganisierter Gruppen hervorgebracht und verbindet die innerstädtische Produktion frischer Lebensmittel mit sozialen Zielen. Grace Lee Boggs, eine Bürgerrechtlerin und Schriftstellerin, sagt z.B. in einem Interview: „Ich denke, es ist für jemanden, der nicht in Detroit lebt, beim Anblick der leerstehenden Häuser sehr schwer nicht zu sagen, ich sehe hier überall Verwüstung, sondern zu sagen, ich sehe hier Hoffnung. Wir haben die Möglichkeit eigene Nahrung anzubauen, junge Menschen haben die Chance an der Weiterentwicklung teilzuhaben. Das ist sonst in einer Stadt nicht möglich. Daher ermöglichen die leerstehenden Grundstücke eine kulturelle Revolution.“ Nahrungsmittelproduktion in Städten gab es schon immer, aber hier hat sich ein weltweites Modell entwickelt und teilweise vernetzt. Heute (wie sollte es in den USA auch anders sein) gibt es auch kommerzielle Konzepte, aber viele urban farmer arbeiten noch auf non-profit-Basis und laut urbanfarming.org geht es z.B. auch darum, Arbeitslose aus der Stagnation zu holen und von karikativer Versorgung durch Suppenküchen und Tafeln zu emanzipieren, und weltweit Communities bei der Selbstversorgung zu unterstützen.
Die „essbaren Städte“, 2008 im englischen Todmorden entwickelt, nachdem eine Frau ihren Garten geöffnet hatte und andere ihrem Beispiel folgten, bestehen aus für alle geöffneten Privatgärten, Gemeinschaftsgärten und bepflanzten öffentlichen Grünflächen, in denen sich alle ohne Gegenleistung bedienen können. 90 deutsche Städte haben sich der Bewegung angeschlossen oder beabsichtigen es. Auch in anderen Ländern wächst die Bewegung.
In den „SoLaWi“(Solidarische Landwirtschaft)-Gruppen tragen mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs mit, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten, mal mehr, mal weniger, je nachdem, wie die Ernte ausfällt. Damit entkoppeln sie die Produktion von Lebensmitteln vom Markt. Viele Solawi-Gruppen sind im Netzwerk Solidarische Landwirtschaft miteinander verbunden. Das Netzwerk setzt sich für eine nachhaltige Landwirtschaft ein und solidarisiert sich mit der „fridays for future“-Bewegung. Auf seiner Website führt es 249 bestehende und 37 Gruppen in Gründung für Deutschland auf. Unter unterschiedlichen Bezeichnungen wirtschaften diese Gemeinschaften außerdem in Japan, den USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Italien, Portugal, Norwegen, Österreich und der Schweiz. In Japan, wo das Konzept in den 1960ern entwickelt wurde, sind heute ein Viertel aller Haushalte an einer solchen Gemeinschaft beteiligt.
„Lebensmittelrettung“ hat sich zu einer Bewegung entwickelt, die sowohl von einzelnen Leuten als auch von mehr oder weniger vernetzten Gruppen getragen wird. Auf der Internet-Plattform foodsharing.de wird zum Selbstverständnis der dort vernetzten Gruppen gesagt, dass es um die Schonung der natürlichen Ressourcen des Planeten, nicht um karitative Ziele, geht, dass die Lebensmittel immer selbst verbraucht oder kostenlos weitergegeben – nie verkauft oder getauscht – werden müssen, wobei sich jede Ausgrenzung verbietet.
Aber auch in anderen Bereichen haben sich inzwischen Gruppen gebildet und Konzepte etabliert. 2009 entstand auf Initiative der niederländischen Journalistin Martine Postma das erste Repair-Café in Amsterdam. Inzwischen gibt es allein in der BRD mindestens 500 Repair-Cafés, von denen viele sich im Netzwerk für Reparaturinitiativen organisiert haben, das von der Stiftung „Anstiftung“ koordiniert wird. Das Netzwerk verfolgt neben dem Nachhaltigkeitsgesichtspunkt ausdrücklich auch das Ziel, die Cafés als Begegnungsorte zu gestalten, in denen sich Menschen unterschiedlicher Herkunft etc. treffen und austauschen können. „Anstiftung“ ist auch im Bereich der Gemeinschaftsgärten und interkulturellen Gärten sehr aktiv.
Gruppen, wie die Hamburger KEBAP-Initiative arbeiten zu übergreifenden Themen (hier: Gemeinschaftsgarten und Klimakücheprojekt, Verwirklichung eines alternativen Energiekonzepts (modulares Anlagenkonzept), Kulturprojekt(e) im Bunker und in Form von Wissens/Erfahrungsaustausch und mehr).
Auf umsonstladen.de, wo die Läden als „Anfang einer wirklichen Alternative zur kapitalistischen Warengesellschaft“ bezeichnet werden, zähle ich 93 Läden in der BRD. Auf der Website wird darauf hingewiesen, dass der Umsonstladen des AK LÖK der erste im Bundesgebiet war und der antikapitalistische Ansatz wird als allgemeingültig für Umsonstläden dargestellt. Ich könnte sicher noch mehr Informationen zu solchen Graswurzelinitiativen finden, habe mir aber schon einen Wolf gegoogelt und hoffe sehr, dass mal jemand zu dem Thema forscht und dann Zahlen und Daten veröffentlicht.
Hier geht es mir erstmal darum, aufzuzeigen, dass es mehr Menschen und Gruppen gibt, die tendenziell in die gleiche Richtung arbeiten, als im Allgemeinen wahrgenommen werden, denn sie wirken wesentlich leiser als große Organisationen und sehr friedfertig, also unauffällig. Auch sie bilden – schon mangels Vernetzung – keine „Bewegung“ im herkömmlichen Sinn, sondern eher mehrere Bewegungen. Eine „kapitalismuskritische“ Haltung – wie sie aus unserem Grundlagenpapier hervorgeht, werden die wenigsten dieser Gruppen ausdrücklich vertreten, aber egalitäre Inhalte und gelebte Kritik an der Warengesellschaft sind deutlich erkennbar.
Ich glaube, dass solche Gruppen – also auch wir – einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum „Kampf um die Köpfe“ leisten können. Allein ihre Existenz zeigt auf, dass es da noch mehr gibt, als allein mit Youtube-Anleitung „auszumisten“, weil das gerade „in“ ist. „Gleichgesinnte“, die als solche in Projekten in Erscheinung treten, und etwas Greifbares tun, können die Sinnhaftigkeit des Ganzen erfahrbarer machen. Denn an Informationen über den katastrophalen Zustand des Planeten mangelt es nicht, sich das anzusehen hinterlässt in der Regel aber ein Gefühl großer Hilflosigkeit. Die in Engagement für z.B. eine der großen Umweltschutzorganisationen umzuwandeln oder sich den aktuellen Bewegungen anzuschließen, heißt, wesentlich mehr Schwellen zu überwinden, als z.B. in ein Repair-Café reinzuschnuppern und sich dann dort einzubringen. Solche kleineren Gruppen können einen ganzheitlicheren Kontakt bieten, bei dem es nicht immer nur um die nächste Aktion der nächsten Kampagne, und damit um die Frage geht, ob dazu genug Kraft und Zeit neben der Erwerbsarbeit oder anderen Lebenskämpfen da ist.
Bei einer solchen Graswurzelgruppe mitzumachen, heißt auch, (basis-)demokratische und solidarische Verhaltensweisen einzuüben. Und wie auch bei den großen Organisationen und Bewegungen kann hier ein Bewusstsein wachsen, das über den Nachhaltigkeitslifestyle und karikative Motive hinausgeht, eben das für die globalen Zusammenhänge, für die katastrophalen Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und für die Möglichkeit von Alternativen.
Zweiter Teil: Textilüberproduktion, Klamotten im Laden und unsere politische Praxis
Textilüberproduktion
Die Produktion von Textilien ist ein Erbe der Menschheit. Mode ist ein wichtiges Kulturgut, über das sich z.B. ganze Jugend(protest)bewegungen definiert haben. Heute allerdings ist die Überproduktion von Textilien und die Verwendung von Giftstoffen sowie die Emission von Treibhausgasen in der gesamten Produktionskette zu einem großen Problem geworden.
„In den Jahren 2000 bis 2016 hat sich die Menge der Textilproduktion weltweit verdoppelt – 2014 durchbrach sie die Schwelle von 100 Mrd. Kleidungsstücken. Doch das ist noch längst nicht das Ende: die Bekleidungsindustrie erwartet, ihre Produktion bis 2030 noch einmal um 62% steigern zu können. 2030 wird die Weltbevölkerung dann jedes Jahr … 102 Millionen Tonnen Kleidungsstücke verbrauchen…. Und diese Textillawine wird zu fast 70% aus Kunstfasern bestehen. … Jeder Deutsche kauft 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr (gemeint ist wohl „durchschnittlich“). Fast die Hälfte der Deutschen gibt in Umfragen an, noch nie Kleidung selbst repariert oder zum Schneider gebracht zu haben. Die Verschwendung beginnt schon bei der Produktion. In der Regel bleiben bei der Fertigung eines Kleidungsstücks 25% „Abfall“ übrig, gelegentlich sogar bis zu 40%. Weniger als 1% des Materials aus der globalen Kleiderproduktion wird zu neuer Kleidung recycelt.“ (Kirsten Brodde, Alf-Tobias Zahn, „Einfach anziehend“, oekom Verlag, 2018)
Der „FairfashionGuide“ von femnet e.V. (Link unter dem Text) gibt an, dass weltweit 80 Mrd. neue Bekleidungsteile verkauft werden. Wenn ich richtig rechne, sind das bei einer Weltbevölkerung von zurzeit ca. 7,7 Mrd. Menschen 10 Kleidungsstücke pro Kopf und Jahr, aber es summiert sich. Gehe ich davon aus, dass seit 2014 der Verkauf etwa gleich geblieben ist, sind mittlerweile über 400 Mrd. Kleidungsstücke entstanden, 52 pro Mensch, wobei die einen nicht mehr besitzen, als sie am Leib tragen und die anderen ihre begehbaren Kleiderschränke immer weiter auffüllen. Gebrauchte Kleidung aus den Industrieländern überschwemmt die Länder im globalen Süden (dazu unten mehr), ein Teil – auch neuer Kleidung – wird verbrannt. „2017 wurde … H&M beim Verbrennen unverkäuflicher Ware erwischt. Allein in Dänemark wurden von der Firma seit 2013 jährlich 12 Tonnen Kleidung verbrannt“ (Brodde/Zahn a.a.O.)
Auf die unterirdischen Arbeitsbedingungen und Löhne in den überwiegend asiatischen Textilfabriken und Nähereien gehe ich hier nicht näher ein, weil ich annehme, dass alle davon schon gehört haben. Sowohl der Anbau/Gewinn von Rohstoffen, als auch die Produktion dieser Massen und der Handel haben verheerende Folgen für die Umwelt und für ganze Volkswirtschaften.
Der Anbau von Baumwolle, einer eigentlich aus dem feuchten Klima der Tropen und Subtropen stammenden Pflanze, erfolgt heute (weil sich nasse Watte schwer ernten lässt) vorwiegend in trockenen Gebieten wirtschaftlich schwacher Länder und erfordert dort künstliche Bewässerung. Der Baumwollanbau für ein einziges T-Shirt verschlingt 2000 Liter, der für eine Jeans 7000 Liter. Die künstliche Bewässerung auf den Baumwollfeldern führt zu einer Versalzung der Böden und zu einem Rückgang landwirtschaftlicher Erträge. Außerdem lässt sie den Grundwasserspiegel sinken und gräbt vielen Menschen das Trinkwasser ab. Der Aralsee in Kasachstan/Usbekistan ist, u.a. wegen des Baumwollanbaus, heute zu 70% ausgetrocknet, wodurch die Existenzgrundlage der Fischerinnen und Landwirtinnen in der Region weitgehend vernichtet wurde.
Für kein anderes landwirtschaftliches Anbauprodukt werden so viele Giftstoffe eingesetzt: Obwohl Baumwolle nur auf 2,5 Prozent der weltweit verfügbaren landwirtschaftlichen Nutzfläche angepflanzt wird, werden 16 Prozent aller Insektizide auf Baumwolläckern verspritzt. Pro Saison wird Baumwolle durchschnittlich 20 Mal mit Ackergiften aller Art besprüht. Überall dort, wo die Baumwolle maschinell gepflückt wird, kommt kurz vor der Ernte auch noch einmal ordentlich Gift auf das Feld. Denn um die Pflückmaschinen effektiv einsetzen zu können, müssen die Pflanzen chemisch entlaubt werden.
Kinderarbeit ist in den Entwicklungsländern weit verbreitet. Wo von Hand gepflückt wird, fehlen oft Schutzkleidung und Sicherheitsmaßnahmen. Tausende Menschen sterben jährlich aufgrund von Pestizidvergiftungen. Der Baumwollexport bringt Devisen, auf die die hoch verschuldeten Länder des Globalen Südens angewiesen sind. Gleichzeitig sorgen hohe Subventionen für die Baumwollproduktion in den USA und Europa für stetig sinkende Preise. U.a. sind Hungerlöhne und verstärkte Flächenkonkurrenz mit anderen zum Export bestimmten Produkten (z.B. Kaffee) und Nahrungsmitteln die Folge. (Wer genaueres über die Folgen des Baumwollanbaus wissen möchte, lese die Studie des Wuppertal-Instituts „Am Beispiel Baumwolle - Flächennutzungskonkurrenz durch exportorientierte Landwirtschaft“, Link unter dem Text).
Viskose wird unter hohem Chemikalieneinsatz überwiegend aus Holz gewonnen, das häufig aus nicht nachhaltigen Quellen stammt. Holz aus wirklich ökologischer Forstwirtschaft steht nur begrenzt zur Verfügung. Wolle stammt überwiegend aus Neuseeland und Australien, wo die Schafhalter ihre Herden in Pestzidbäder treiben, um Parasitenbefall vorzubeugen. Synthetische Kunstfasern wie Polyester und Polyacryl werden aus fossilen Stoffen, v.a. Kohle und Erdöl gewonnen. Die Verarbeitung zu Garnen kostet sehr viel Energie, weitaus mehr als die von Baumwolle, u.a., weil z.B. Polyestergranulat im Rahmen des Schmelzspinnverfahrens erst auf 280° Celsius erhitzt und dann über eine Spinndüse in einen Kaltluftschacht geleitet wird, so dass sich die Faser verfestigen kann. Polyester-Kleidung fusselt bei jeder Wäsche. Fleece gibt pro Waschgang 1 Mio. winzige Fasern ab, die nicht herausgefiltert werden können und in den Gewässern landen. Sowohl bei der konventionellen Produktion als auch der Textilveredelung werden problematische, teils hoch giftige Substanzen verwendet.
Nachdem sich die Textilproduktion seit den 70er Jahren weitgehend aus Europa verabschiedet hat, werden 90% aller Textilien in Asien produziert, aber z.B auch in Mittel- und Südamerika, wo es nur wenig Umweltauflagen gibt. Laut Greenpeace sind inzwischen zwei Drittel der chinesischen Flüsse und Seen als verschmutzt klassifiziert. Giftstoffe aus den Fabriken werden oft ungeklärt abgeleitet und tauchen später im Trinkwasser und Essen auf. Viele der Chemikalien schädigen die Fortpflanzungsfähigkeit von Tieren und Menschen, andere können das zentrale Nervensystem und innere Organe schädigen.
In verschiedenen Quellen heißt es, dass die Textilindustrie mit 8 bis 10% mehr Treibhausgase in die Luft bläst, als internationaler Luftverkehr und Schifffahrt zusammen. Davon sollen zwischen 7 und 10% auf die Transporte und etwa 30% auf die Herstellung entfallen, wobei besonders das abschließende Bügeln jedes einzelnen Kleidungsstücks in den Nähereien ins Gewicht falle. Der Transport umfasst in diesem Zusammenhang nicht nur den Weg von der Näherei zu Standorten des Handels, sondern auch den Weg der Textilie vom Anbau bis zur Fertigstellung: Ein einfarbiges T-Shirt legt schon mal 27.000 km, rund um den Globus zurück, bis es in den Laden kommt. Für eine Jeans wurden ca. 50.000 km errechnet: „Die Baumwolle stammt beispielsweise aus Indien, versponnen in der Türkei, zum Denimstoff gewebt und gefärbt in Polen, wobei die Indigofarbe etwa aus Taiwan stammt. Der Stoff wird nach den Philippinen zum Nähen verschifft, dort trudeln dann auch Etiketten und Lederaufnäher aus Frankreich und die Nieten und Knöpfe aus Italien ein. Möglicherweise wurde der Stoff auf einer Zwischenstation in Osteuropa noch chemisch zur Weichheit und Knitterfreiheit veredelt. Der used look erfordert eine Behandlung mit Bimsstein aus Griechenland, vorgenommen dortselbst oder... irgendwo, China wahrscheinlich. Verkauft und getragen wird die Jeans in der Schweiz, doch ihr Weg ist damit noch nicht zu Ende. Sie landet in der Altkleidersammlung, sortiert wird sie in den Niederlanden und schliesslich verschifft nach Afrika.“
Der Rest, und damit der Löwenanteil, des Treibhausgas-Fussabdrucks eines Kleidungsstücks entfällt auf seine Gebrauchszeit. Selbst wenn es nur sieben Mal getragen wird, addieren sich Waschen, Trocknen, Bügeln und die darauffolgende (Nicht-)Wiederverwertung zu den übrigbleibenden ca. 60 Prozentpunkten an Treibhausgasemissionen auf.
Noch nicht einberechnet in diese Daten über den „ökologischen Fußabdruck“ sind die durch den online-Handel emittierten Klimagase: Jedes zweite bestellte Kleidungsstück geht offenbar zurück an den Versender, und der schmeißt 80% der Retouren weg.
Und nun zum Altkleidermarkt: In Deutschland werden jährlich eine Million Tonnen Altkleider in Altkleidercontainer oder Sammlungen gegeben. Wie schädlich sich Altkleidersammlungen des Roten Kreuzes und anderer karitativer Verbände auswirken können, wurde sehr eindrucksvoll in der NDR-Reportage „Die Altkleiderlüge – Wie Spenden zum Geschäft werden“ vom 9.11.2001 beschrieben: Das Deutsche Rote Kreuz sammelt in Containern, die weitere Vermarktung übernimmt ein Unternehmen, das dem DRK 5 Ct. Pro Kilo zahlt. Gut erhaltene Sachen werden nach Osteuropa verkauft, große Mengen v.a. auch nach Afrika. Auf dem afrikanischen Markt wird die Ware für 1,20 Euro pro Kilo verkauft und von Kleinhändlern weiter vertrieben. Dieses System hat in Tansania die einheimische Textilproduktion nahezu vernichtet, denn keine Produzentin kann im Wettbewerb gegen Ware bestehen, die lediglich sortiert und transportiert wurde. Bis Anfang der 90er Jahre gab es in der tansanischen Textilindustrie 80.000 Beschäftigte, im Jahr 2011 waren es noch 5.000. Die sehr konkrete Folge ist, dass viele der ehemaligen Textilarbeiter*innen hungern. Einige Näherinnen halten sich damit über Wasser, dass sie für umgerechnet 80 Euro im Monat im Akkord Kleidung in xxl-Größen auf afrikanische Größen ändern. Die in Daressalam ansässigen Großhändler betonen in der Reportage, dass sich mit Altkleidern aus Deutschland die besten Geschäfte machen lassen, weil die Deutschen sehr hochwertige Kleidung wegwerfen.
Andere karitative Kleidersammlungen, z.B. der Malteser oder der Johanniter, funktionieren nach dem gleichen Prinzip. Das DRK hat sich nach der Reportage zur Wehr gesetzt, darauf hingewiesen, dass ca. 10% der gesammelten Altkleider an DRK-Kleiderkammern und Läden gehen oder direkt in Katastrophengebiete gebracht werden, und behauptet u.a. für den Niedergang der afrikanischen Textilindustrien gebe es ein ganzes Bündel an Ursachen: problematische Produktionsbedingungen, häufiger Stromausfall, unregelmäßige Wasserversorgung, keine Ersatzteile - aber auch die Streichung von Subventionen an die Textilbetriebe ab Anfang der 80er Jahre, sowie wirtschaftliche und handelspolitische Probleme des jeweiligen Entwicklungslandes, mangelnde Produktivität von Betrieben, staatliche Eingriffe und Wettbewerbsverzerrungen durch Importzölle. Das heißt also, dass sich die Verwertungspraxis der karitativen Verbände nicht geändert hat und jedenfalls in beachtlicher Weise weiter zur Schädigung afrikanischer Volkswirtschaften beiträgt.
Anfang 2019 hat Ruanda die Einfuhr von Altkleidern verboten. „Die Idee gibt es schon seit 2015. Eigentlich wollten auch Kenia, Uganda und Tansania ein Import-Verbot für Secondhand-Kleidung verhängen. Nachdem aber US-Präsident Donald Trump mit dem Ausschluss aus dem Wirtschaftsabkommen AGOA gedroht hat, sind die anderen Länder abgesprungen. Deshalb hat Ruanda nun als einziges Land diese Regelung eingeführt.“ (https://detektor.fm/wirtschaft/import-verbot-ruanda) Auch Second-Hand-Großhändler beziehen ihre Ware teilweise aus den Containern der karitativen Verbände.
Alternativen
All diese Informationen über den Irrsinn der Textilienüberproduktion sind schon länger bekannt. An alternativen Fasern aus z.B Milch, Algen, Ananas, Orangen- und Bananenschalen wird fleißig gearbeitet, aber auch hier ist die Ökobilanz nicht optimal, z.B. weil die Stoffe nach für den Markt erforderlicher Veredelung nicht biologisch abbaubar sind. Reycling im großen Stil ist u.a. deshalb schwierig, weil die meisten Textilien heute Mischgewebe sind. Recycling-Polyester, in Asien überwiegend aus eingeschmolzenen PET-Flaschen gewonnen, verbraucht wenig Wasser und hat insgesamt eine gute Öko-Bilanz, wird aber meist zu Fleece verarbeitet und setzt beim Waschen genau so viele Fasern frei, wie neue Polyesterkleidung. Außerdem besteht die Gefahr, dass Industriestaaten PET-Flaschen in großen Mengen nach Asien verschiffen werden, anstatt sie vor Ort neu zu befüllen.
Designer*innen und Unternehmen der Modebranche arbeiten an Lösungen, es gibt Siegel für Öko-Kleidung und für „fairwertung“. Sicher spricht nichts gegen den Erwerb von fair gehandelter Bio-Baumwolle, vor allem weil die im Baumwoll-Anbau arbeitenden Menschen dadurch bessere Einkommen erzielen können und die Vergiftung reduziert wird. Das ändert aber nichts daran, dass auch Öko-Baumwolle Unmengen Trinkwasser braucht und Unternehmen Märkte, die für sie wirtschaftlich interessant sind. Dennoch werden die goldenen Regeln der nachhaltigen Textilnutzung auch aus den Reihen der Textilhändler verkündet: Eher hochwertige, ggf. Öko-Kleidung kaufen, und lang tragen, nicht über 40° waschen, auf Trocknereinsatz verzichten und auch nur bügeln, wenn wirklich nötig.
Die „fast fashion“-Mode, Billigkleidung, die nur wenige Male getragen wird, wird vielfach kritisiert. Es gibt eine „slow fashion“ -Bewegung, getragen von Akteurinnen aus der Branche. Auch hier ist längst ein Trend entstanden. „Capsule Wardrobe“, zu Deutsch in etwa „Grundgarderobe“, ist hier das meist genutzte Schlagwort für den „Minmalismus im Kleiderschrank“. Inhaltlich geht es darum, weniger und dafür gute und gut kombinierbare Kleidungsstücke im Schrank zu haben, um Geld zu sparen und sich von zu viel Sachen zu befreien. Bewussteres Einkaufen gehört dazu und jedenfalls die politisch angehauchten Ratgeber empfehlen auch, Kleidertauschpartys zu veranstalten und sich mal was auf dem Flohmarkt oder im Second Hand Shop zu kaufen und die Sachen so lange wie möglich zu tragen.
Eine neue Branche, die Kleidervermietung, ermöglicht, neue modische Sachen zeitweise zu tragen und auf diese Weise viel Abwechslung in die Garderobe zu bringen. Zumindest ein Unternehmen in Deutschland ist dabei in Sachen Nachhaltigkeit sehr ambitioniert, repariert und führt Ladenhüter und zerschlissene Sachen dem upcycling zu.
Eine riesige Werbe-Maschinerie schickt allerdings täglich andere Botschaften. In Werbespots, Broschüren, Katalogen und im Internet wird vorgeführt, wie günstig Kleidung zu haben ist und was getragen werden muss, um „in“ zu sein. In Serien und Spielfilmen wird Mode vorgeführt, selbstverständlich tragen die Darstellerinnen in jeder Folge bzw. jeden Tag andere Klamotten und Influencerinnen werben in youtube-Videos für immer neue Outfits. So rät dann auch z.B. die Modezeitschrift „Grazia“ im Rahmen ihrer Nachhaltigkeits-Lifestyle-Tips, nur Kleidung zu kaufen, die mindestens 30 Mal getragen wird. Zwei Nullen mehr wären eher angemessen, aber soweit, den Markt der Überproduktion wirklich zu behindern, geht natürlich kein Unternehmen, das von ihm profitiert. Durch die permanente Werbe-Berieselung und durch traditionelle Denkweisen, entsteht vor allem für Mädchen und Frauen ein Erwartungsdruck, möglichst modisch und täglich mit anderen Sachen bekleidet zu sein.
Soweit Verbraucher*innen Einfluss auf den Textilienmarkt nehmen können, ist es nach allem also das beste, sich weitestgehend mit gebrauchter Kleidung einzudecken und die so lang wie möglich zu tragen, Überflüssiges nur an Weitergabestellen zu spenden, die es direkt anderen Menschen zum Gebrauch anbieten, Beschädigtes selbst zu reparieren oder zur Änderungsschneiderei zu bringen, Zerschlissenes zur weiteren Verwendung im Haushalt zu verwenden (Frottee putzt fast genauso gut wie Mikrofaser, Flanell eignet sich hervorragend zum Staubwischen, Baumwollstreifen für Umschläge um geschwollene Gelenke machmal besser als ein Verband – auch Putztücher und Verbandmaterial sind Textilien, die neu gekauft zur Überproduktion beitragen) oder auf irgendeine Weise upzucyceln.
Hierzu können Umsonstläden natürlich praktisch beitragen, vor allem – anders als Second-Hand-Shops und die meisten Ratgeber - die „radikalere“ Botschaft verbreiten, sich wirklich überwiegend mit Gebrauchtem einzudecken und die Zusammenhänge zwischen Wirtschaftssystem, der Textilüberproduktion, der Ausbeutung und Vergiftung von Menschen und Natur und der Klimaerwärmung thematisieren.
Unsere Praxis
Wer den ersten Teil gelesen hat, hat gesehen, dass ich die Arbeit des AK Lök noch mehr schätze, als vor meinen Recherchen , weil ich ihn jetzt weniger als ein Nischenprojekt wahrnehme, mehr als Akteur im Rahmen einer positiven gesellschaftlichen Entwicklung.
Wenn es so weiter läuft, wie bisher, ist das auch schon ziemlich gut. Wenn das Bewusstsein dafür wächst, dass wir Teil einer, wenn auch diffusen, gesellschaftlichen Entwicklung sind, die den Massenkonsum in Frage stellt, kann das vielleicht Auftrieb geben. Wir sind und bleiben, einzeln betrachtet, ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber im Zusammenhang mit den vielen anderen kleinen und größeren Gruppen, die in die gleiche Richtung arbeiten, sind wir vielleicht mehr als Nieselregen über der Sahara, vielleicht helfen wir, eine der vielen Pfützen zu schaffen, ohne die eine Veränderung des Systems nicht möglich ist.
Ob und ggf. wie sich der AK LÖK etwas sichtbarer am „Kampf um die Köpfe“ beteiligen möchte, müsste intern, v.a. unter den Aktiven diskutiert werden. Ich bin mir bewusst, dass ich schon viel zu lange aus dem Alltag der Projekte raus bin, um den wirklich erfassen zu können und bitte, die folgenden Überlegungen als vorsichtige Anregungen aufzufassen. Große Würfe sind uns als „Graswurzelinitiative“ nicht möglich, zu hohe Ansprüche würden uns überfordern. Zurzeit gilt das meiner Ansicht nach auch für eine stärkere Vernetzung mit anderen, ähnlich arbeitenden Gruppen, die erstmal vor allem Kräfte binden würde.
Politik bedeutet Verbreitung von Ideen. Das bei uns die politischen Aussagen auf der Website und in einigen Flyern, wie dem Grundlagenpapier, sowie das „Vorleben“ bzw. die Erfahrung der Umsonstökonomie nicht ausreicht, hat sich in den vergangenen Jahren erwiesen. Es müsste schon etwas deutlicher zum Ausdruck gebracht werden, was wir wollen. Die website allein allein scheint mir dafür nicht sehr effektiv. Wer sich nicht gezielt für unsere Ideen interessiert, wird vermutlich nur die Öffnungszeiten abfragen, vielleicht noch mal lesen, was es mit den verschiedenen Projekten auf sich hat, also angebotsorientiert mit den Informationen umgehen. Wegen unseres neuen Standortes werden wir vielleicht weniger als karikative Einrichtung wahrgenommen, dennoch bleiben wir sicherlich in den Augen Vieler alternativer Konsumort. Dass wir mehr sind, sollte m.E. für alle sichtbar werden, die uns aufsuchen bzw. mit unseren Aktivitäten in Berührung kommen.
Ich wäre dafür, zu gucken, was im Rahmen des Bestehenden, in den Schichten, beim Umsonstfest und im Rahmen der bestehenden Zusammenarbeit mit fux, Centro, Gängeviertel und Altonaer Bürgertreff möglich ist.
Welche Ideen verbreiten?
Der warenkritische Ansatz ist gut. Wenn ich ihn gelesen habe, habe ich immer zustimmend genickt und dann wieder vergessen. Die Idee, perspektivisch weniger Erwerbsarbeit leisten zu müssen, weil mein Portemonnaie durch die Umsonstökonomie entlastet wird, hat mich noch nie wirklich überzeugen können, denn die größten Posten, die vom Konto abgehen, sind nicht die für Gebrauchsgüter. Niemand kann sagen: „Chefin, diesen Monat arbeite ich ein bisschen weniger, weil ich im Umsonstladen eine Hose und im Kleinmöbellager ein Regal bekommen habe“, und im Vertrauen auf die Umsonstökonomie von Vollzeit auf Teilzeit umzustellen, fände ich gewagt. Das alles sind noch Gedankenspiele.
Dagegen sind unsere ökologischen Ansätze allgemein verständlicher und können wirkungsvoller sein, nicht nur, weil jede*r ein bisschen „nachhaltiger“ leben leben kann, sondern auch weil er warenkritische bzw. „kapitalismuskritische“ Ansätze enthält, die wir mit thematisieren können. In Bezug auf Kleidung im Umsonstladen, könnte eben thematisiert werden, dass die Nutzung von Gebrauchtem nicht nur den Geldbeutel schont, sondern dass das eine Notwendigkeit ist, wenn wirklich etwas gegen den Wahnsinn der Textilienüberproduktion in Bewegung gebracht werden soll.
Botschaften an die Nutzer*innen in unseren Räumen
Den Nutzer*innen könnte z.B. die Botschaft vermittelt werden, dass Holen genauso wichtig ist wie Bringen. Für diejenigen, die immer oder überwiegend nur spenden, bedeutet das, dass es suboptimal ist, im Kleiderschrank Platz für neu gekaufte Klamotten zu schaffen. Für die, die überwiegend holen, dass dies nicht nur Ausdruck ihrer „Armut“ ist, sondern auch ökölogisch sinnvoll. Für beide Gruppen gilt, dass auch Gebrauchtes sorgfältig ausgesucht und so lange wie irgend möglich getragen bzw. zum weiteren Gebrauch weitergegeben werden sollte. Vielleicht könnten dann auch die Bring- und Holregeln ein bisschen politischer rüberkommen: Es kommt uns nicht darauf an, möglichst viele „Spenden“ zu bekommen, sondern darauf, dass überhaupt zum Gebrauch weitergegeben wird. Die Hinweise auf andere Weitergabeorte im Laden könnten beibehalten und sogar ein bisschen beworben werden. Die Begrenzung auf die Mitnahme von 5 Teilen dient nicht dazu, Menschen mit wenig Einkommen „zur Mäßigung zu erziehen“, sondern ist ein Hinweis auf unsere Ablehnung des Massenkonsums, die für alle gilt.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, ich plädiere nicht dafür, selbst bis zu Zwanghaftigkeit jede Lebensäußerung auf ihren ökologischen Fußabdruck zu überprüfen und Leute mit derartigem zuzutexten. Das wäre schon angesichts der Komplexität des Themas unangemessen.
Deshalb könnten z.B. Plakate und/oder Flyer, die die entsprechenden Inhalte zum Gegenstand haben, hilfreich sein – v.a wenn sie nicht ganz so bleiwüstig und lang sind, wie das Grundlagenpapier. Eigene Schriften wären toll, aber vielleicht gibt es auch schon Flyer anderer Gruppen/Organisationen, die gut passen, und ausgelegt werden könnten – dann wäre zunächst nur Recherche und interne Diskussion über die Geeignetheit nötig.
Wenn das nächste Mal Überfüllung einen Annahmestopp erforderlich macht, könnten auf der website und im Laden Nutzer*innen dazu aufgefordert werden, bei der Verteilung des Zuvielen zu helfen. Wer Ideen hat, wem bzw. welcher Einrichtung Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände zum Gebrauch angeboten werden könnten und sie dann da auch hinbringt, oder einfach mal einen Packen in den naheliegenden Tauschkisten oder die Container der Kleiderkammer Wilhelmsburg verteilt, würde insofern schon anders mit uns interagieren, als nur Angebote zu nutzen. Im Rahmen einer solchen Interaktion könnten dann – wenn und wie es gerade passt – auch die Notwendigkeit, sich mit Gebrauchtem einzudecken und die Problematik der Container von DRK und Co. zum Thema werden. Vielleicht ist eine solche Interaktion schon passiert. Eine Freundin hat z.B. Kleidung für die Kleiderkammer des Krankenhauses geholt, in dem sie als „Grüne Dame“ ehrenamtlich Kranke besucht. Aber offensiv sind wir – soweit ich das mitbekommen habe - mit dieser Idee nicht umgegangen.
Vielleicht könnte, falls so etwas nicht schon probiert und verworfen worden, ist, eine Ecke für ausgewählte politische Bücher zum (unüberwachten) Leihen bzw. mit Hinweis auf die Rückgabeoption eingerichtet werden, so dass es nicht immer nur ums Mitnehmen geht, sondern auch mal um die Verbreitung von Ideen, die dann unter den Nutzer*innen und/oder mit uns geteilt und diskutiert werden könnten.
Natürlich könnten in unseren Räumen auch Info- und Diskussionsveranstaltungen stattfinden, zu der nicht nur die linksalternative Szene, sondern ganz bewusst und gezielt alle Nutzer*innen eingeladen werden. Und, wenns geht: Es gibt zum Textilienwahnsinn und andern wichtigen Themen jede Menge gute Dokumentarfilme.
Möglichkeiten außerhalb der Räume
Bei einem der nächsten Umsonstfeste oder bei anderer Gelegenheit könnte die Idee der Modenschau wieder zum Einsatz kommen, vielleicht mit ein ganz klein bisschen weniger Selbstironie und etwas mehr Information zur Wichtigkeit der Nutzung von Gebrauchtem.
Auch beim Umsonstfest wären z.B. Diskussionsveranstaltungen möglich und sinnvoll – soweit sich Leute finden, die sie durchführen. Auch hier könnte geguckt werden, ob andere Gruppen da schon ein Konzept haben und damit teilnehmen wollen – wir müssen nicht alles mit viel Aufwand alleine machen, es gibt „Verbündete“. Auch die Vorstellung anderer Initiativen auf dem Fest, deren Arbeit wir sinnvoll finden, könnte etwas ausgeweitet werden. Nötig wären allerdings Recherche, interne Diskussion und eine mehr oder weniger gezielte Ansprache, bzw. die Aussage, dass wir uns so etwas wünschen, neben Umsonstständen, Musik und allerlei Bespaßung, die natürlich den Kern eines Festes ausmachen.
Mehr fällt mir gerade nicht ein und der Diskussionsbeitrag ist lang genug. Ich hoffe, er hat dem einen oder der anderen was gebracht.
Interessante Links und Quellen
Ökologische Problematiken
https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/kann-das-elektro-auto-die-umwelt-retten-100.html https://netzfrauen.org/2018/04/22/sand/ https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/panorama/weltweites-problem-der-rohstoff-sand-wird-immer-knapper/22874340.html https://de.wikipedia.org/wiki/Smartphone#%C3%96kologische_Probleme http://www.informationszentrum-mobilfunk.de/umwelt/mobilfunkendgeraete/herstellung https://www.stern.de/digital/online/stromverbrauch-wie-viel-energie-kostet-eine-google-suche--3755288.html https://www.welt.de/wissenschaft/article133026360/Die-Erzeugung-von-Oekostrom-frisst-viel-Material.html
Regierungen, Parteien
Organisationen, Bewegungen und Graswurzelinis
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Textilienüberproduktion
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Umweltbewegungen international
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S.H.
Hamburg, 4. November 2019
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Plenum der Projekte im AK Lök.
Arbeitskreis Lokale Ökonomie e.V.
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